DER STANDARD-KOMMENTAR „Der große Murks mit dem Strich“ von Petra Stuiber

Ein intimer Kenner der Wiener Kommunalpolitik
antwortete einst, als die rot-grüne Stadtregierung taufrisch im Amt
und die Stimmung aufgekratzt war, trocken auf die Frage, ob er an den
Erfolg dieser Konstellation glaube: „Das kommt darauf an, ob sich in
beiden Parteien die Sozialarbeiter durchsetzen.“
Der Satz war natürlich nicht als pauschalisierende Beschimpfung aller
im Sozialbereich Tätigen gemeint – er sollte, sehr pointiert,
ausdrücken: Sollten die Koalitionäre die Stadt künftig mit dem
Impetus der Weltverbesserung regieren, wird es schwierig für Rot-Grün
in Wien. Zu kaum einem Thema passt diese Prognose besser als zum
Umgang der Stadtverwaltung mit Prostitution. Eine neue Regelung
wollten die zuständige Stadträtin Sandra Frauenberger (SP) und die
grüne Chefverhandlerin Birgit Hebein schaffen, getragen vom Geist der
Toleranz, Weltoffenheit und Verantwortung für die Schwachen – in dem
Fall die Prostituierten. Gleichzeitig sollten rebellierende Anrainer
befriedet und die Wünsche der Polizei berücksichtigt werden. Von
diesen, den allerbesten, Absichten getragen, wurde wochenlang
verhandelt, und heraus kam – ein großer Murks rund um den
Straßenstrich.
Die Anrainer beim Westbahnhof sind selbigen los – dafür stehen die
Prostituierten nun rund um die Uhr am Rande des Wurstelpraters. Die
Absicht, die Sicherheit der Sexarbeiterinnen zu erhöhen und in
Laufhäuser umzuleiten, ist nicht aufgegangen. Die Mieten dort sind
flugs gestiegen, sodass Prostituierte nun vermehrt in privaten
Wohnungen arbeiten – was die Lage der Frauen noch verschlimmert. Wenn
nun auch im Prater die „Erlaubniszonen“ zeitlich beschränkt werden,
verschwindet die Szene wohl zur Gänze in den Untergrund.
Und was tut die Stadt? Sie putzt sich plötzlich ab und argumentiert,
sie könne rein gar nichts unternehmen – solange der Bund nicht das
Gesetz ändert und Prostitution fürderhin vom Makel der
Sittenwidrigkeit befreit. Das ist eine Ausrede und politisch feige.
Wenn die rot-grüne Stadtregierung der Ansicht ist, dass Prostitution
ein Gewerbe wie jedes andere ist, muss man Prostituierten auch die
Möglichkeit geben, es auszuüben – in Offenheit und mit dem
größtmöglichen Schutz. Das bedeutete aber, sich mit Anrainern und
Bezirksvorstehern anzulegen. Das wagt aber niemand, denn die nächste
Wahl kommt bestimmt.
Der andere Weg wäre der, für den sich Schweden und Frankreich
entschieden haben: Dort gilt Prostitution als unerwünschtes Gewerbe,
Freier werden bestraft. Das kann problematisch sein, weil ein Teil
des Geschäfts ebenfalls in die Illegalität abtaucht und das beileibe
noch nicht heißt, dass das Rotlichtmilieu verschwindet. Das zeigen
auch die jüngsten Enthüllungen um die angeblichen Eskapaden des
schwedischen Königs mit „käuflichen Damen“. Aber immerhin melden die
Sicherheitsbehörden, dass Menschenhändler zunehmend einen Bogen um
das Land machen – weil sich durch hohe Strafdrohungen das Geschäft
schlicht nicht rechnet.
Diese Sichtweise, die auch auf EU-Ebene Anhänger findet, sollte man
auch in Österreich zumindest diskutieren. Was spräche dagegen, dass
sich Rot-Grün in Wien zur Speerspitze einer solchen Debatte erklärt?
Das könnte zumindest ein markantes Projekt und Alleinstellungsmerkmal
in Sachen Gesellschaftspolitik sein.
Freilich: Bei diesem Weg wäre ebenfalls politischer Mut gefragt –
momentan ein unüberwindliches Handicap.

Rückfragehinweis:
Der Standard
Tel.: (01) 531 70 DW 445

Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom