DER STANDARD – Kommentar „Der Countdown läuft“ von Michael Völker

Im parlamentarischen Untersuchungsausschuss kamen
die politischen Schweinereien unter reger Beteiligung der FPÖ und
ihrer Proponenten zur Sprache. In der Zeit der gemeinsamen Regierung
mit Wolfgang Schüssels ÖVP haben sich freiheitliche Freibeuter
ungeniert die Taschen vollgeräumt. Das Wort „Privatisierung“ wurde
von manchem blauen Funktionär wortwörtlich genommen. Das alles hat
der FPÖ politisch kaum geschadet.
Die Abspaltung des BZÖ und die späte Wiedervereinigung mit einem Teil
dieser Truppe machte die Zuordnung schwierig. Heinz-Christian Strache
war als Wiener Parteichef in wesentliche Entscheidungsabläufe zwar
eingebunden und trug die strategische wie personelle Ausrichtung mit,
dennoch ist es ihm im Nachhinein gelungen, sich abzuputzen und die
Abläufe so darzustellen, als hätten er und seine Kumpanen nichts
damit zu tun, als sei Jörg Haider eine Zufallsbekanntschaft am Rande
einer Sonnwendfeier gewesen. Das Raubrittertum, das sich unter
blau-oranger Regierungsbeteiligung als politische Strömung etabliert
hat, wird der FPÖ in der allgemeinen Wahrnehmung offenbar
nachgesehen. Die Umfragewerte waren in den letzten Wochen und Monaten
tadellos: Bis zu 27 Prozent wurden der FPÖ prognostiziert, Platz eins
schien möglich.
Dann kam Martin Graf. Mit einem ganz und gar unpolitischen Thema. Er
sah sich mit Vorwürfen konfrontiert, die man in Wien als
Erbschleicherei umschreiben würde. Dass Graf und seine blauen
Freunde, viele von ihnen mit Gesichtsverletzungen, im
Forschungszentrum Seibersdorf wirtschaftlichen Kollateralschaden
angerichtet hatten – vergeben und vergessen. Aber einer alten Dame
das Geld wegzunehmen – geht gar nicht. Das wollen die Leute nicht,
das verzeiht der Boulevard nicht, und tatsächlich sinken die
Umfragewerte. Dass die Kronen Zeitung Graf, den falschen
Rechtsanwalt, der nur Rechtsanwaltswärter ist, auf Seite_1 als
potenziellen „Hochstapler“ zur medialen Schlachtung freigibt, kann
Parteichef Strache als letzten Schuss vor den Bug gar nicht
missverstehen.
So einen wie Graf will man nicht, abseits aller politischen und
ideologischen Debatten und Argumente. Jemand, der die Unehrlichkeit
vor sich herträgt, ist in der Partei, die damit kokettiert, Hort der
Anständigen zu sein, nicht tragbar. Da ist der politische Preis zu
hoch. Grafs Tage als Nationalratspräsident sind gezählt. Der
Countdown läuft. Strache zählt mit.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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