Badische Neueste Nachrichten: Wolf im Schafspelz

Er sieht wie ein strebsamer Musterschüler aus:
Doch von der Rolle des EU-Klassenprimus ist Rumäniens
Ministerpräsident Victor Ponta meilenweit entfernt. In Bukarest tritt
der 39-jährige Sozialist Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit mit
Füßen, in Brüssel mimt er das reumütige Unschuldslamm. Sollte er
unbeachsichtigt EU-Recht verletzt haben, werde er dies korrigieren,
ließ er Kommissionschef José Manuel Barroso gestern wissen. Das ist
der Gipfel der Heuchelei. Ponta ist ein Wolf im Schafspelz. Wer das
Verfassungsgericht entmachtet und unliebsame politische Rivalen
absetzt, ist ein so „lupenreiner Demokrat“ wie Kremlchef Wladimir
Putin. Und Brüssel muss alles rechtlich Mögliche tun, um diesem
Treiben ein Ende zu setzen. Das Problem: Schon bei Ungarns Premier
Victor Orban hat sich gezeigt, wie begrenzt die formalen
Möglichkeiten der EU bisher sind. Immerhin: Der glühende
Antikommunist aus Budapest veränderte unter dem Druck von
EU-Vertragsverletzungsverfahren beanstandete Gesetze. Der Umbau
Ungarns in eine rechtskonservative Autokratie ist allerdings nicht
gestoppt. Sanktionen wie Subventions- oder Stimmrechtsentzug sind in
der Praxis nur schwer durchzusetzen. Die Abschreckungswirkung der
Brüsseler „Folterinstrumente“ hält sich in Grenzen. Bei Rumänien
haben die EU-Hauptstädte aber ein symbolisch wichtiges
Zusatz-Strafwerkzeug in Händen. Sie können den Beitritt Rumäniens zum
grenzkontrollfreien Schengen-Raum blockieren. Das ist auch bitter
nötig. Denn es wird immer klarer, dass die EU Rumänien zu früh in
ihren Club aufgenommen hat. Berechtigte Zweifel an der demokratischen
Reife wurden 2007 hintangestellt – schließlich ging es um das hehre
Ziel, die 2004 begonnene Vereinigung zwischen Ost und West zu
vollenden. Es war eine Aufnahme aus politischen Gründen unter
freundlicher Missachtung der eigenen Beitrittskriterien: in der
Hoffnung, die Mitgliedschaft möge den demokratischen
Transformationsprozess beschleunigen. Das erweist sich nun als
Wunschdenken. Viel zu tief prägt der Geist der alten Eliten das Land.
Letztlich geht es Ponta auch darum, diese vor Strafverfolgung zu
schützen. Brüssel muss jetzt klarmachen, dass es nicht noch mal
wegzusehen bereit ist.

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