Eigentlich will Bundesinnenminister Hans-Peter
Friedrich ab Mitte August bei einer Fahrradtour im Urlaub neue Kräfte
für den kräftezehrenden Regierungs-Job tanken. Doch ob der Oberfranke
wirklich unbelastet in die Pedale treten kann, ist äußerst fraglich.
Denn im Gepäck hat er gleich zwei Mühlsteine: Immer neue Details zu
Schlampereien des Inlandsgeheimdienstes in Sachen der
Neonazi-Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).
Sie geben nicht nur dem obersten Geheimdienstchef immer neue Rätsel
auf. Und daraus folgend die Sisyphusarbeit, den Diensten hierzulande
eine neue, effiziente und zugleich föderal funktionierende Struktur
zu geben. Dabei gab es gravierende Fehler bei der Abwehr
rechtsextremistischer Aktivitäten – offenbar nicht nur im Kölner
Bundesamt, nicht nur im Thüringer Landesamt, sondern nun auch bei den
sächsischen Schlapphüten. Der honorige Chef des Dresdner Landesamtes
Reinhard Boos quittierte jetzt seinen Dienst und übernahm damit die
Verantwortung für monatelang zurückgehaltene Akten des Dienstes.
Zuvor waren bereits der Thüringer Verfassungsschutz-Chef sowie der
Präsident des Bundesamtes Heinz Fromm, auch er eigentlich ein
ehrenwerter Mann mit hohem Ansehen, von ihren Posten zurückgetreten.
Die Einschläge nehmen zu. Dass im Bundesamt unmittelbar nach der
Enttarnung der mordenden Zwickauer Zelle brisante Akten über den
Einsatz von V-Leuten in den Reißwolf gesteckt worden, kann kein
Zufall sein. Hat hier der zuständige Referatsleiter Tabula rasa
gemacht, um Verstrickungen seiner Behörde in die rechtsextreme Szene
zu vertuschen? Bei seiner Anhörung vor dem
Bundestags-Untersuchungsausschuss hat der Mann kaum Erhellendes
beigetragen, oder beitragen wollen. Noch-Behördenchef Fromm konnte
nur den Kopf schütteln, was unter seiner Präsidentschaft im Amt
möglich war. Oder noch möglich ist? Besorgniserregend ist vor allem
der Umstand, dass die Dienste, beileibe nicht nur der
Verfassungsschutz, ein nahezu unkontrolliertes Eigenleben führen
können. Die deutsche Sicherheitsarchitektur mit dem föderal
angelegten Verfassungsschutz, mit Auslandsgeheimdienst (BND) und dem
militärischen Abschirmdienst (MAD) ist in der Zeit des tiefsten
Kalten Krieges begründet worden. Auch belastete Nazi-Größen standen
dabei Pate. Man war seinerzeit nicht so pingelig, denn der schlimme
Feind kam aus dem Osten und das rechtfertigte so manchen personellen
Missgriff. Auch im Moskauer Lager war man nicht fein. KGB und Stasi
waren heimtückische, brutale Gegner. Doch all das ist Geschichte. Die
heutigen Bedrohungen der inneren Sicherheit gehen weniger von
osteuropäischen Geheimdiensten, sondern eher von Rechtsextremisten,
Islamisten und Linksextremisten aus. Wobei man nicht vergessen darf,
dass Geheimdienste heute im Internet und bei der Wirtschaftsspionage
ganz neue und offenbar auch lukrative neue „Geschäftsfelder“ gefunden
haben. Moderne, flexible, gut verzahnte Dienste, die die ganze
Klaviatur moderner Medien und neuer Herausforderungen bewältigen,
sind also gefragt. Friedrich und Co. haben noch sehr viel zu tun, um
die Dienste auf die Höhe der neuen Anforderungen zu bringen. Die
völlige Abschaffung der Dienste verlangen dagegen nur ein paar Leute
von ganz links. Was etwa so „sinnvoll“ wie der Ruf nach Abschaffung
der Feuerwehr wäre, nur weil einer der Feuerwehrleute unachtsam mit
Benzin hantierte. Autor: Reinhard Zweigler
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