Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR SPD wählt Steinbrück zum Kanzlerkandidaten Seit– an Seit– THOMAS SEIM

Peer Steinbrück ist angekommen: als
Kanzlerkandidat in der Mitte seiner Partei. Es ist die Symbolik zu
Beginn seiner Rede, die dies den Delegierten deutlich machen soll:
Mit einem Blumenstrauß geht der Kandidat in den Parteitag hinein und
ehrt das Geburtstagskind Erhard Eppler. So ist das Bild: Ich gehe auf
euch zu und bin in eurer Mitte. Die SPD-Parteitagsregie funktioniert
noch. Das war allerdings nach den Wochen anstrengender Debatten um
Vortragshonorare in Millionenhöhe für den ehemaligen
NRW-Ministerpräsidenten und Bundesfinanzminister auch nötig. Dass
Steinbrück ein guter Redner ist, das war bekannt. Gleichwohl bestand
die besondere Herausforderung für ihn auf dem Nominierungsparteitag
darin, den eigenen Parteifreunden deutlich zu machen, dass er trotz
allem der richtige Kandidat für den Wahlkampf gegen eine
Bundeskanzlerin Angela Merkel ist. Diese Herausforderung hat
Steinbrück bestanden. Er hat dies getan mit einer Rede, die eine
gute, abgewogene Mischung war aus Angriff auf den politischen
Konkurrenten, selbstkritischer Reflexion, nachdenklicher
gesellschaftlicher Analyse, der Formulierung eigener politischer
Ziele und emotionaler Ansprache der sozialdemokratischen Delegierten.
Inhaltlich positionierte der Kandidat seine Partei profiliert mit
klaren Ansagen zur Europapolitik, zur Stadtentwicklung, zur
Bildungs-, Steuer-, Energie- und Gleichstellungspolitik. Steinbrück,
dem man bislang nur eine geringe Wirkung auf Wählerinnen nachsagt,
wurde hinreichend konkret, indem er dazu die neue Idee einer
Staatsministerin im Kanzleramt entwickelte, die sich künftig um
Gleichstellungsfragen kümmern soll. Es war eine werteorientierte Rede
nah an den Werten und dem politischen Lebensgefühl der
Parteitagsbesucher. Das Credo des Kandidaten ist der Dreiklang aus
Gerechtigkeit, Maß und Mitte. Daraus leitete er den Mindestlohn, die
Stärkung des Tarifrechts, die armutsfeste Rente, ein solidarisches
Gesundheitssystem, Frauenquote, Kinderbetreuung – kurz: den
vorsorgenden, gerechten Sozialstaat ab, ein Deutschland mit mehr
„Wir“ und weniger „Ich“. Wenn die Erwartung richtig ist – und es
spricht etwas dafür -, dass die politische Auseinandersetzung im
Wahljahr 2013 nicht von der Debatte um den Euro, sondern von der über
die gerechte Gesellschaft geprägt ist, dann kann diese Strategie ein
Erfolgsrezept sein. Zumal dann, wenn die CDU gegen den ehemaligen
Finanzminister der ersten Regierung Merkel das Euro-Thema kaum als
Angriffsthema entwickeln kann. So nah sind sich Kandidat und Partei
in der Vergangenheit selten gewesen. Anders als Gerhard Schröder 1998
hat sich Steinbrück unter dem Eindruck der schwierigen Schlagzeilen
in der Honoraraffäre nicht gegen die Partei profiliert, sondern
versucht, die Gemeinsamkeiten zu entwickeln. Und der Hanseat war sich
nicht zu schade, sich bei seinen Parteifreunden zu entschuldigen für
Wackersteine, die er ihnen mit seinen Honoraren um den Hals legte,
und zu bedanken für die ihm gewährte Solidarität. Kandidat und Partei
schreiten „Seit– an Seit–„, wie es das alte Lied der Sozialdemokratie
postuliert. Und sie sind sich nun wohl näher, als sich Union und
Merkel trotz deren Wiederwahlergebnis im tiefsten Innern sind. Das
Rennen ums Kanzleramt ist seit gestern wieder ein wenig offener.

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