Westfalenpost: Papst-Rücktritt

Die katholische Kirche steht nach der
kirchengeschichtlich fast einmaligen Rücktrittserklärung eines
amtierenden Papstes vor einer Zäsur. Joseph Ratzinger, der sich einen
einfachen Arbeiter im Weinberg des Herrn nannte, wird noch in diesem
Monat seinen Stuhl räumen – den Heiligen Stuhl. Welche Bedeutung
dieser ebenso überraschende wie souveräne Schritt hat, wird erst in
der Zukunft deutlich werden. Denn der belesene und bescheidene
Intellektuelle hat weit mehr als nur sein eigenes Pontifikat geprägt.
Er drückte der Kirche seit Jahrzehnten den Stempel auf – als
Konzilsberater, als wegweisender Theologe, als Wächter der
Glaubenskongregation und als engster Mitarbeiter des charismatischen
Johannes Paul II.

rot“>Sternstunden für Glaubenszweifler

Sein
Geist ist so unabhängig, dass er auch Glaubenszweiflern Sternstunden
bescherte. Der Disput mit dem Philosophen Jürgen Habermas und die
drei Bände umfassenden Gespräche mit dem Skeptiker Peter Seewald
beweisen, dass dieser Mann sehr viel von der Welt versteht, aber
niemals von dieser Welt sein wollte. Sein ganzes Leben legt Zeugnis
davon ab, dass nach seiner Überzeugung der Mensch menschenwürdig nur
sein kann, wenn er sich als Gottes Geschöpf versteht. Der Mensch, das
einte die Gedankenwelt von Karol Wojtyla und Joseph Ratzinger,
versündigt sich, wenn er unter seinen eigenen moralischen
Möglichkeiten bleibt.

Es mögen die Kritiker, die Stillstand
und sogar Rückschritt bei Benedikt XVI. beklagen, womöglich Recht
haben. Dennoch erfassen sie das Eigentliche, Unverwechselbare dieses
Pontifikats nicht, geschweige denn das Besondere dieses Menschen. Er
wollte der Welt zeigen, dass sie nicht um ihrer selbst willen da ist,
sondern um ein Abglanz der Herrlichkeit Gottes zu sein. Das ist ein
so sperriger und unmoderner Gedanke, dass nur religiös sehr
musikalische Menschen ihn erfassen können. Die Gutmeinenden stehen
staunend davor. Und vor der großen Geste, mit der dieser einfache
Arbeiter abtritt.

Wahrlich eine Zäsur.

Pressekontakt:
Westfalenpost
Redaktion

Telefon: 02331/9174160