Neue Westfälische (Bielefeld): KOMMENTAR Energiewende Loslegen und abwarten CARSTEN HEIL

Schon kleinste Veränderungen in unseren Büros
sorgen für Aufgeregtheiten. Eine etwas andere Produktionsweise
verunsichert die Belegschaft eines Unternehmens. Ganze Heerscharen
von Coaches sind bemüht, Veränderungsprozesse so zu managen, dass sie
möglichst reibungslos ablaufen. Jedenfalls, wenn der Chef klug
beraten ist. Nun hat die schwarz-gelbe Bundesregierung Deutschland in
einem panikartigen Kraftakt nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima
vor zwei Jahren die Energiewende verordnet. Man kann es auch ein
bisschen kleiner ausdrücken als Umweltminister Peter Altmaier, der
von der größten Herausforderung seit der deutschen Einheit spricht.
Aber die Energiewende ist eine gigantische Aufgabe, die auch noch
überhastet, falsch und ohne jede Steuerung angegangen wurde. Kein
Wunder, dass es überall rumpelt und nicht vorangeht, dass die
unterschiedlichen Interessengruppen lauthals übereinander zetern und
alle Beteiligten in verschiedene Richtungen zerren. Sogar innerhalb
der Regierung herrscht keine einheitliche Meinung. In dieser Woche
hat Kanzlerin Angela Merkel alle an einen Tisch gebeten, die
irgendwie mit dem Atomausstieg zu tun haben. Zwar haben sich dabei
alle gegenseitig versichert, die Energiewende zu wollen, was schon
ein Fortschritt ist. Solche Konsensrunden hätten aber schon früher
einberufen werden müssen. Denn wenn man die Betroffenen beteiligt,
sind Veränderungsprozesse besser zu steuern. Im Fall der Energiewende
ist es jedoch nicht Verunsicherung, sondern knallharter
Verteilungskampf. Wer bekommt vom neuen Kuchen das größte Stück?
Dabei zieht jeder jeden rücksichtslos über den Tisch. Selten war der
Strompreis an der Börse in Leipzig (also die Beschaffungskosten für
die Energiekonzerne) so niedrig wie in diesen Monaten. Aber die
Endkunden zahlen Rekordpreise. Mit vereinten Kräften kassieren
Bundesregierung (Erneuerbare-Energien-Gesetz, Netzentgelt) und
Stromkonzerne ab. Statt diese Verteilungskämpfe zu moderieren oder zu
regulieren, streitet die Regierung intern, wer mit welchem Beitrag
belastet wird. Und erhält dafür sowohl aus Brüssel als auch von
deutschen Gerichten einen Rüffel nach dem anderen. Dabei sollte die
gesamte Gesellschaft inklusive der genannten Beteiligten ein
gesteigertes Interesse an einer gelingenden Energiewende haben. Nicht
nur wegen der sauberen und langfristig günstigeren Energie, die auch
noch politische Unabhängigkeit verspricht. Gaslieferant Russland hat
große Sorge, dass die Energieversorgung in Deutschland regenerativ
wird. In Bremerhaven etwa boomt die Off-Shore-Windindustrie, nachdem
die Region von den Werftenkrisen schwer gezeichnet war. Längst
blicken andere Länder (USA) gebannt auf Deutschland. Sollte die Wende
gelingen, werden sie denselben Weg gehen, deutsche Technologie und
Wissen einsetzen. Ja, die Energiewende kostet heute Geld. Aber sie
ist eine sinnvolle Investition in die Zukunft unserer Kinder.

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