Westdeutsche Zeitung: Die umstrittene Agenda 2010 ist auf dem Weg zur Agenda 2020 = Von Martin Vogler

Wo stünde Deutschland ohne die Agenda 2010? Das
ist die einzige Frage, die zum Jubiläum dieser stets umstrittenen
Reform in der Rückschau wichtig ist. Die zweite Kernfrage lautet, wie
eine künftige Regierung die Agenda nach der Bundestagswahl im
September reformieren beziehungsweise weiterentwickeln wird. Denn
Änderungen sind wohl nötig.

Die Agenda hat viele Opfer. Das prominenteste heißt Schröder, war
damals Kanzler und gilt als ihr Erfinder. Gerhard Schröder handelte
dermaßen konsequent, dass er zwei Jahre später seinen Job als
Regierungschef los war. Besonders Langzeitarbeitslose samt Angehörige
nahmen ihm übel, dass sie nach Ablauf des Arbeitslosengeldes nicht
mehr die gegenüber der Sozialhilfe meist höhere Arbeitslosenhilfe
bekommen, sondern rasch von der sozialen Leiter fallen – und Menschen
gleichgestellt sind, die selten oder nie gearbeitet haben. Das ist in
vielen Fällen brutal. Doch angesichts der damals sehr hohen Zahl von
Erwerbslosen war es wohl nötig. Die Idee war, den Anreiz, auch eine
schlechter bezahlte Stelle anzunehmen, zu erhöhen. Das Ergebnis mit
einer heute relativ niedrigen Arbeitslosenquote in Deutschland hat
Schröder recht gegeben.

Ähnliches gilt für die Veränderungen im Gesundheitswesen, wobei
hier weiterhin die Gefahr besteht, dass die glücklicherweise viel
besser gewordene medizinische Leistung, von der wir alle profitieren,
unbezahlbar wird. Hier ist Nachbessern nötig.

Sehr unpopulär, aber angesichts der gestiegenen Lebenserwartung
logisch ist die Erhöhung des Rentenalters, einschließlich der
Reduzierung von Möglichkeiten, sich mit geringen Abschlägen vorzeitig
in den Ruhestand zu verabschieden. Wer nur ungern länger Geld
verdienen will oder es gar nicht kann, ist sauer. Doch es gibt zur
längeren Lebensarbeitszeit keine Alternative.

Im jetzt begonnenen Wahlkampf stellt die SPD allerdings das höhere
Rentenalter infrage. Sie droht also, sich von Schröders Agenda 2010
zu entfernen. Wobei eine Weiterentwicklung sinnvoll ist, angesichts
der 2016 wirkenden Schuldenbremse aber besonders auf
Ausgabendisziplin geachtet werden muss. Und nur aus wahltaktischen
Gründen bei einer möglichen Agenda 2020 das Rad zurückzudrehen, wäre
supergefährlich.

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