Respektable Geste
Ehrenrührig ist es nicht, wenn die Wahlkämpferin Angela Merkel
zwischen zwei Kundgebungen das frühere Konzentrationslager in Dachau
besucht. Zum einen zeigt es, dass selbst vor einem Wahltag die Furcht
der Politiker vor dem Unmut der Ewiggestrigen nachlässt, die dem
Irrglauben anhängen, man könne die unselige deutsche Vergangenheit
langsam ruhen lassen. Zum anderen ist es bemerkenswert, dass erstmals
ein Bundeskanzler die KZ-Gedenkstätte durch seine Anwesenheit
aufwertet – in welchem Zusammenhang auch immer. Merkel hat sich nicht
aufgedrängt. Der Auschwitz-Überlebende und Leiter der Gedenkstätte,
Max Mannheimer, hat seine längst ausgesprochene Einladung an sie
erneuert, als er von ihrem Termin im CSU-Bierzelt in Dachau erfahren
hat. Wenn dieser 93-jährige Zeitzeuge und Sozialdemokrat nichts dabei
findet, sollten auch andere nicht nach Haaren in der Suppe suchen.
Die Kanzlerin ist weise genug, am einstigen Schreckensort nicht als
Stimmenfängerin aufzutreten. Ein wenig spielt da auch schierer Neid
eine Rolle. Da arbeiten sich manche an der Amtsinhaberin ab, denen es
an zündenden Einfällen für eigene Kampagnen mangelt. Das Geschick der
Oppositionskandidaten, sich selbst in Szene zu setzen, hält sich
bisher im Rahmen. In den Sommerferien auf dem Feriendampfer um
Stimmen werben – rasend originell ist das nicht. Im Übrigen hängt das
Phänomen Amtsbonus nicht von der Parteizugehörigkeit des Inhabers ab.
Ob einst Gerhard Schröder über den Elbdeich schritt oder jetzt Angela
Merkel einen Kranz in Dachau niederlegt – sie sind immer nicht nur
Kanzler, sondern auch ein bisschen Kandidat. WILHELM HÖLKEMEIER
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