Badische Neueste Nachrichten: Spottlust

Die Schadenfreude ist die Tochter von Mordsspaß.
Sagt man. Stimmt der Satz, dann müsste es die Bundeshauptstadt
derzeit an Gaudi mit dem Oktoberfest aufnehmen können. Jedenfalls ist
in die deutsche Politik, oft als nüchtern geschmäht, die
Schadenfreude gerade als vorherrschende Empfindungsart eingezogen:
Selten hat ein Wahldebakel so viele hämische Kommentare ausgelöst wie
der tiefe Fall der FDP. Das Netz quillt nur so über an mehr oder
minder kreativen Sticheleien, in Leserbriefen wird dreister
formuliert denn je und nicht wenige Abgeordnete empfangen in rüdem
Ton verfasste Briefe. Die FDP war ja nie dem Bestreben abhold,
Politik mit Gefühl zu verbinden – wer wird je den Spaßwahlkampf mit
dem Guidomobil vergessen. Aber so richtig erfolgreich ist die Partei
damit unfreiwillig erst jetzt, im Niedergang. Nüchtern betrachtet
gibt es dafür viele Gründe. Schließlich gibt es keine andere Partei,
die so viele Jahre an den Fleischtöpfen der Macht schwelgen durfte
wie die Liberalen. Die Völlerei hatte Folgen, die Partei, die sich in
der großen Tradition des deutschen Liberalismus wähnt, wurde
inhaltsleer. Verkam zur selbst ernannten Funktionspartei. Jetzt ist
nach dem Inhalt auch die Funktion weg, was für eine Realsatire! Aber
der Niedergang heißt nun für rund 500 Mitarbeiter von abgewählten
Abgeordneten Koffer packen, Schreibkräfte, Büroleiter, Berater müssen
zum Arbeitsamt. Sie haben am Wahltag erst einmal ihre Existenz
verloren. Möglicherweise werden es noch mehr, denn die finanzielle
Lage der FDP dürfte sich verschlechtern und weitere Streichungen in
parteinahen Einrichtungen nach sich ziehen. Mitleid muss man nicht
haben. Aber die Folgen der übers Land schwappenden Spottlust sollte
nicht ganz aus dem Blick geraten. Wer sich in der Politik engagiert,
tut dies in einer Demokratie stets auf Zeit. Das birgt hohe Risiken
für den eigenen Lebensentwurf. Immer weniger Bürger gehen heute das
Risiko ein, gestalterische Macht für einige Jahre zu übernehmen. In
den Kommunalparlamenten macht sich das bemerkbar, für manches
Bürgermeisteramt gibt es schon jetzt kaum mehr Bewerber – und
Menschen, die einen gut bestallten Posten aufgeben, um sich auf dem
Schleudersitz als Parlamentarier zu bewähren, sind seit langem schon
Mangelware. Keine Frage, der persönlich zu leistende Preis für
politisches Engagement ist hoch. Und er wird noch höher, wenn zum
Schaden auch der Spott sich gesellt.

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