Allg. Zeitung Mainz: 90-60-90 / Kommentar zu Peer Steinbrück und der SPD

Gibt es in der Politik eine neue Maßeinheit?
90-60-90? Man könnte das glauben, so eifrig wird mit Zahlen hantiert:
90 Prozent plus X für Julia Klöckner, nur 60 Prozent plus X für Frau
von der Leyen, 90 Prozent plus ganz viel X für Angela Merkel. Und
jetzt Peer Steinbrück mit 90 plus 3,45 Prozent. Sind das Zahlen von
Belang außerhalb von Parteitagen? Es spricht vieles dafür, dass sie
lediglich selbstbezogenes Politiker-Sprech sind – und das von
Journalisten, weil sie es auf dem Jahrmarkt der Medieneitelkeiten
nachplappern. Die Ergebnisse für Merkel und auch für Steinbrück waren
erwartbar. Frau von der Leyen war zu oft vorlaut, und Julia Klöckner
verkörpert etwas, was es auch in der CDU nicht oft gibt: noch unter
40, standfest in oppositioneller Rhetorik und „nah bei de Leut“. Das
gibt dann folgerichtig Kredit für Leistungen wie etwa Wahlsiege, die
auch sie erst noch erbringen muss. Denn Wahlen werden nicht durch
innerparteiliche Zahlenakrobatik, sondern vom Bürger entschieden.
Peer Steinbrück hat deswegen auf dem Parteitag in Hannover rhetorisch
alle Register gezogen. Selbstkritik in Sachen Honorare, beißende
Attacken gegen die „Machtmaschine“ CDU und ihre vorgebliche soziale
Kälte, dazu Streicheleinheiten bei Quote, Mindestlohn, Bildung und
Betreuung. Das wärmt die so oft mit Blick auf den eigenen Kandidaten
fröstelnde sozialdemokratische Seele. Allein, es ist keine zu gewagte
Prognose, dass auch das für das gute Wahlergebnis Steinbrücks
irrelevant war. Den Delegierten war der Ernst der Lage bewusst: Nur
geschlossen haben sie überhaupt noch eine Chance gegen die Kanzlerin.
Angela Merkel hat im Wissen darum, dass Wahlen in der Mitte der
Gesellschaft gewonnen werden, die Sozialdemokraten gnadenlos
ausmanövriert. Mitte im Deutschland des Jahres 2012 ist da, wo Merkel
ist. Peer Steinbrück muss jetzt einen Spagat hinlegen: Er ist einer
der wenigen in seiner Partei, dem Angela Merkel eigentlich in der
Mitte nichts vormachen kann. Eigentlich. Denn Steinbrück wird sich,
um seine Partei nicht wieder zu verlieren, in den nächsten Monaten
immer wieder nach links (ver-)biegen müssen. An der Frage, ob er
dabei glaubwürdig bleibt, wird sich sein Erfolg oder Misserfolg
entscheiden. Steinbrück hat seine ganz eigene Maßeinheit: 30 plus
möglichst viel X. Nur mit einem SPD-Ergebnis möglichst weit jenseits
der 30 Prozent kann es für Rot-Grün reichen. Denn auch die CDU wird
entgegen allen Beteuerungen den Grünen Avancen machen, sollte sie der
FDP verlustig gehen. Keine gute Ausgangslage, aber die
Sozialdemokraten haben den einzigen Kandidaten nominiert, der aus ihr
gegen die Kanzlerin kontern kann.

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