Pressemitteilung
Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) muss interne
Unterlagen über ihre Kehrtwende in der Laufzeitenfrage im Sommer 2010
an Deutsche Umwelthilfe herausgeben – DUH-Geschäftsführer Baake:
„Ausgerechnet die liberale Justizministerin muss vom Gericht
gezwungen werden, die Informationsrechte der Bürger zu wahren.“ – DUH
fordert Ministerin auf, endlich für Transparenz zu sorgen und auf
Rechtsmittel zu verzichten
Eine unvermittelte und bis heute rätselhafte Kehrtwende von
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vor
der Entscheidung über die Laufzeitverlängerung der deutschen
Atomkraftwerke im vergangenen Sommer steht möglicherweise vor der
Aufklärung. Am gestrigen Donnerstag verurteilte das
Verwaltungsgericht Berlin das Bundesjustizministerium nach
mehrstündiger mündlicher Verhandlung, der Deutschen Umwelthilfe e. V.
(DUH) in vollem Umfang Einsicht zu gewähren in alle einschlägigen
Vermerke der Arbeitsebene, aber auch in Vorlagen für den
Staatssekretär und Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger selbst.
(AZ: 2K46.11)
Die Umweltorganisation hatte auf Grundlage des
Informationsfreiheitsgesetzes, IFG, Einblick verlangt in interne
Vermerke und sonstige Schriftstücke, die sich mit der Frage
beschäftigen, was unter einer „moderaten Laufzeitverlängerung“ zu
verstehen sei. Dabei ging es im Kern um die juristisch umstrittene
Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine
Laufzeitverlängerung ohne Zustimmung des Bundesrates beschlossen
werden könne. Leutheusser-Schnarrenberger hatte die Akteneinsicht
seit Herbst 2010 unter anderem mit der Begründung verweigert, diese
würde die „Funktionsfähigkeit der Bundesregierung“ gefährden.
Daraufhin klagte die DUH vor dem Verwaltungsbericht Berlin auf
Herausgabe der Akten und erhielt nun Recht.
Der Richterspruch könnte eine bisher ungeklärte Merkwürdigkeit in
dem an Merkwürdigkeiten reichen Entscheidungsprozess der
Bundesregierung zur Laufzeitverlängerung der deutschen Atomkraftwerke
im vergangenen Jahr erhellen. Mitte August 2010 hatte sich das
Justizministerium Medienberichten zufolge auf maximal zwei Jahre und
vier Monate als „moderate“ und in der Konsequenz nicht im Bundesrat
zustimmungspflichtige Laufzeitverlängerung der alternden Meiler
festgelegt. Zwei Wochen später jedoch stimmte die
Verfassungsministerin plötzlich einer Laufzeitverlängerung von bis zu
14 Jahren zu – also einer sechsmal längeren Frist.
„Welche juristischen Gründe Frau Ministerin
Leutheusser-Schnarrenberger zu diesem spektakulären Kurswechsel
veranlasst haben, ist auch nach Fukushima und der Kehrtwende der
Bundesregierung in ihrer Atompolitik von öffentlichem Interesse. Wir
wollen wissen, wie die Entscheidung zustande kam, ob sie juristisch
begründet war oder ob das Verfassungsressort sich durch politischen
Druck zu dem Positionswechsel pressen ließ“, sagte
DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Er forderte Frau
Leutheusser-Schnarrenberger auf, nun „umgehend die Geheimniskrämerei
zu beenden, auf Rechtsmittel gegen den Richterspruch zu verzichten
und damit die Transparenz zuzulassen, die der Öffentlichkeit
zusteht.“
Rechtsanwältin Dr. Cornelia Ziehm, die die Klage vor dem VG Berlin
vertrat und auch Leiterin Klimaschutz und Energiewende der DUH ist,
wies auf die übergeordnete Bedeutung der Auseinandersetzung mit dem
Bundesjustizministerium hin. „Der Fall hat Pilotcharakter für andere
Verfahren, in denen es um die Informationsrechte der Bürgerinnen und
Bürger gegen intransparente Entscheidungsprozesse von Regierungen
geht.“ In dem Verfahren vor dem VG Berlin musste zum einen die Frage
geklärt werden, ob die Vorbereitung von Gesetzesvorlagen unter das
IFG fällt oder ob diese als „Regierungstätigkeit“ der Geheimhaltung
unterliegt. Zum anderen mussten die Richter entscheiden, ob die von
der DUH erbetenen Akten in den „Kernbereich exekutiver
Eigenverantwortung“ fallen und möglicherweise aus diesem Grund ein
Akteneinsichtsrecht ausgeschlossen ist.
Die Richter lehnten eine Differenzierung zwischen Verwaltungs- und
Regierungstätigkeit schließlich ab und entschieden, dass der DUH
Einsicht in die von ihr angeforderten Unterlagen gewährt werden muss.
Das gelte nicht nur für Vermerke der Arbeitsebene im Ministerium,
sondern ausdrücklich auch für Ministervorlagen und Vorlagen an den
Parlamentarischen Staatssekretär. Ausgenommen von der Pflicht zur
Einsichtsgewährung seien lediglich Kabinettsvorlagen, die die DUH
allerdings auch nicht verlangt hatte. Ziehm: „Das Urteil ist nicht
nur ein schöner Erfolg für die DUH, sondern letztlich auch für die
Demokratie. Es ist geeignet, Politik auch auf höchster Ebene
transparenter zu machen.“
Pressekontakt:
Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer, Hackescher Markt 4, 10178
Berlin, Tel.: 030 2400867-0; Mobil: 0151 55016943; E-Mail:
baake@duh.de
Dr. Cornelia Ziehm, Leiterin Klimaschutz und Energiewende Hackescher
Markt 4, 10178 Berlin, Tel. 030 2400867-0, Mobil: 0160 94182496;
E-Mail: ziehm@duh.deziehm@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik & Presse, Hackescher Markt 4,
10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-0; Mobil: 0171 5660577; E-Mail:
rosenkranz@duh.de