Er war schon lange der „Präsident der Herzen“,
jetzt wird er bald der gewählte Präsident der Bundesrepublik
Deutschland sein: Joachim Gauck wird von einer breiten
Parteienkoalition als Kandidat fürs höchste Staatsamt vorgeschlagen.
Für den Pfarrer, ehemaligen Bürgerrechtler und Leiter der
Stasi-Unterlagenbehörde schließt sich dann noch eine Etappe an sein
ohnehin schon bewegtes öffentliches Leben an. Ein Leben, in dem
Joachim Gauck wie wenige andere eine deutsch-deutsche Geschichte
verkörpert – fraglos das höchste Pfund, mit dem der Parteilose nun im
hohen Amt wuchern kann. Es hat gedauert, bis sich die konservative
deutsche Parteienlandschaft auf den Kandidaten einigen konnte.
Unverständlich lang. Denn Gauck verkörpert viele der Tugenden, die
CDU und CSU heilig sind. Er vermittelt Freude und Stolz über die
deutsche Demokratie. Er schwärmt vom hohen Gut der Freiheit, wie es
viele arrivierte Politiker nicht vermögen. Er spricht Worte aus, die
altmodisch anmuten: Demut etwa und Bescheidenheit. Und er lebt eine
Integrität vor, mit der Gauck das Zeug hat, jenes hohe Amt wieder
aufzupolieren, das sein Vorgänger durch allzu große Nähe zum Geldadel
in stinktlos belastete. Gauck ist politisch so un abhängig, das er
mancherlei ansprechen wird, was nicht immer opportun sein wird. Und
der Mann, der in seiner Biogra fie manche Rückschläge wegzustecken
hatte, wird die Geschmeidigkeit aufbringen, um in einer zur Spaltung
neigenden Gesellschaft zum Bezugspunkt zu werden. Eines wird niemand
von Joachim Gauck erwarten – dass er fehlerlos zu sein hat.
Allerdings darf man erwarten, dass der neue starke Mann zu Fehlern
steht. Eben daran hat es Christian Wulff gebrechen lassen. Das
Lavieren und Sich-Winden unter Druck ist ein wiederkehrendes Ritual
in der Politik geworden da hat Wulffs bizarre Verteidigungsstrategie
nur eine weitere Facette geliefert. Die Angst, sich durch
Schuldeingeständnis eine Blöße zu geben, ist menschlich. Sie spiegelt
in ihrer Überhöhung jene gesellschaftliche Attitüde wider, die
Glamour, Form und Aussehen höher bemisst als Inhalt, Redlichkeit oder
Fleiß. Wer sich müht, kann auch irren. Wer aufrichtig nach Lösungen
sucht, muss auch mal einen mühevollen Umweg in Kauf nehmen – was Zeit
kostet, die ihm die in Echtzeit informierte Gesellschaft oft nicht zu
geben gewillt ist. Einen bemerkenswerten Fall von Korrektur hat die
Bundeskanzlerin vollbracht. Der Schwenk zu Joachim Gauck am gestrigen
späten Abend ist der Union aus taktischen Gründen alles andere als
leicht gefallen. Dass sie ihn dennoch vollzogen hat, könnte die
seltsame Folge haben, dass diese Kandidatenkür fast nur Sieger
hervorgebringt: SPD und Grüne, weil sie schon vor zwei Jahren auf
Gauck setzten. Die FDP, weil sie gestern hoch und erfolgreich
gepokert hat. Und die CDU, die bald merken könnte, dass die ser
Präsident viel besser zu ihr passt, als sie je gedacht hat.
Pressekontakt:
Badische Neueste Nachrichten
Klaus Gaßner
Telefon: +49 (0721) 789-0
redaktion.leitung@bnn.de