BERLINER MORGENPOST: Alles entschieden, aber nicht alles gut – Leitartikel

Wenn am heutigen Donnerstag das Bundesaufsichtsamt
für Flugsicherung vorstellt, auf welchen Routen die Jets ab dem 3.
Juni am neuen Hauptstadtflughafen BER starten und landen müssen, wird
es keine Überraschungen geben. Die Genehmigungsbehörde hat sich bei
ihrer Festlegung der Luftwege an dem orientiert, was die Deutsche
Flugsicherung bereits im Sommer 2011 vorgestellt hat. Bis auf ein
paar kleine Details wurden deren Vorschläge übernommen. Alles andere
wäre auch ein handfester Skandal. Schließlich war die vor knapp einem
halben Jahr öffentlich gemachte Streckenführung das Ergebnis eines
rund einjährigen Abwägungsprozesses. Diese Routen sind nicht nur
Ergebnis der erfolgreichen Bürgerproteste im Südwesten, sondern auch
von Vorschlägen, die betroffene Berliner Bezirke und brandenburgische
Gemeinden in die Lärmschutzkommission eingebracht hatten und die von
der Mehrheit getragen wurden. Dass damit nun längst nicht alles gut
ist und auf jeden Fall Menschen im Südosten Berlins in erheblichem
Maß unter Fluglärm leiden werden, zeigt jedoch ein Blick auf die
Landkarte. Schon mit der Standortentscheidung für Schönefeld im Mai
1996 war klar: Der Flughafen reicht so dicht an besiedeltes Gebiet
heran, dass in jedem Fall eine große Anzahl von Anwohnern betroffen
sein wird – völlig unabhängig davon, welche Routen am Ende gewählt
werden. Als vor 16 Jahren der Bau des Großflughafens in Schönefeld
beschlossen wurde, wurde die Lärmbelastung bereits als ein
Negativaspekt vermerkt. Ausschlaggebend für den Standort Schönefeld
war jedoch die Nähe zur Hauptstadt, die erwarteten Wirtschaftsimpulse
für Berlin und die gute Anbindung durch bereits vorhandene
übergeordnete Straßen- und Schienenverbindungen. Nachvollziehbare
Gründe, für die sich keiner der damals Regierungsverantwortlichen in
Berlin und Brandenburg schämen muss. Schämen müssen sich Planer und
verantwortliche Politiker jedoch für das, was danach geschah. Denn im
September 2010 veröffentlichte die Flugsicherung ihre geplanten
Abflugrouten für den BER. Diese wichen fundamental von den zuvor im
Planfeststellungsbeschluss veröffentlichten Routen ab. Drei der vier
Flugrouten knickten nun plötzlich ab – und steuerten direkt auf dicht
besiedelte Gebiete zu. Anders, heißt es nun auf einmal, sei der
wirtschaftlich unverzichtbare Parallelbetrieb der beiden Startbahnen
aus Sicherheitsgründen nicht möglich. Die betroffenen Bürger durften
rätseln, ob der Berliner Senat und die brandenburgische
Landesregierung tatsächlich von nichts wussten – oder ihr Wissen
bewusst verschwiegen. Beides keine akzeptable Vorstellung. Denn am
Ende steht unumstößlich der Fakt, dass sich Hunderttausende jahrelang
fälschlicherweise als nicht betroffen wähnten. Die Menschen haben
jedoch ein Recht darauf zu erfahren, ob und wie stark sie von einem
Infrastrukturprojekt betroffen sind. Immerhin dazu dient der heutige
Tag. Er ändert zwar nichts daran, dass viele Menschen in
Flughafennähe unter Lärm leiden werden. Doch ohne Transparenz keine
Chance auf Akzeptanz: Nur wer die Tatsachen kennt, kann sich auf
politischem oder juristischem Weg wehren – oder sich mit ihnen
arrangieren.

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