BERLINER MORGENPOST: Besserwisser wider Willen Jochim Stoltenbergüber Peer Steinbrücks Rede im Bundestag – und seine Chancen als Kandidat

Er kommt und kommt nicht so richtig in die Puschen.
Überstürzte Kandidatenkür, Honorar-Affäre, Anbiederung an die
internen Kritiker, und nun ist ihm auch noch sein renommierter
Online-Berater für den Wahlkampf von der Fahne gegangen. Angesichts
dieser Pech- und Pannensträhne passt es ins Bild, dass Peer
Steinbrück gestern durchweg finster und mürrisch dreinblickte, als er
während der Haushaltsdebatte der Kanzlerin zuhören musste. Wenn er
nämlich so weitermacht und nicht bald die Kurve kriegt, fahren seine
Hoffnungen dahin, in einem Jahr an Angela Merkels Stelle die Republik
zu regieren. Im zweiten Rededuell präsentierte sich der geborene
Hanseat – seinem Vorbild und Gönner Helmut Schmidt nicht unähnlich –
einmal mehr mit markigen Formulierungen mal als Nörgler, meist als
Besserwisser. Man darf gelinde Zweifel hegen, ob das gut ankommt beim
Wähler. Nicht allein, dass die wirtschaftliche Lage Deutschlands im
Vergleich zu den meisten anderen Ländern eine eher goldene ist und
Angela Merkel in den Umfragewerten weit vor dem Kandidaten liegt.
Steinbrücks Besserwisserei insbesondere bezüglich der gestern wieder
hitzig diskutierten Hilfen für Griechenland ist wenig überzeugend.
Weil er wider besseres Wissen redet. Natürlich weiß auch er, dass es
kein Patentrezept zum Überleben Euro- Griechenlands gibt. Davon
künden die eigenen Argumentationswenden von Euro-Bonds bis zum
Schuldenschnitt. Und er weiß aus ministerieller Erfahrung, dass alle
schönen Absichten nicht weiterhelfen, wenn die Euro-Partner nicht
mitmachen. Auch Angela Merkel kann in Europa allein wenig
entscheiden. Dabei hat sie auch noch die Interessen der deutschen
Steuerzahler zu wahren. Das sehen die Wähler bislang zumindest
ähnlich. Es beeindruckt deshalb wenig, ist sogar kontraproduktiv,
wenn Steinbrück die Kanzlerin zur Hauptschuldigen der ungelösten
Euro-Krise erklärt. Er versteht zu viel von Finanzpolitik, um mit
einer solchen Haudrauf-Strategie für die Bürger wirklich glaubhaft zu
sein. Er wird als Spitzenkandidat einmal mehr in einer Wahl
scheitern, wenn er sich von seiner Partei in eine Kampfstrategie
drängen lässt, von der er selbst nicht aus tiefstem Herzen überzeugt
ist. Er darf sich nicht sozialdemokratisch rundschleifen lassen. Er
muss auch als Wahlkämpfer der Peer Steinbrück mit Ecken und Kanten
bleiben. Sein Nominierungsparteitag im Dezember ist die letzte
Möglichkeit, die Partei so hinter sich zu versammeln, dass er sich
nicht verleugnen muss. Dazu gehört das Bekenntnis zur von ihm
mitbeschlossenen Reformagenda Gerhard Schröders und das Festhalten am
von ihm ebenfalls mitverantworteten Rentenkonzept der großen
Koalition, das der realen Demografie im Lande in ersten zaghaften
Ansätzen gerecht wird. Vielleicht saß Peer Steinbrück gestern auch
deshalb so verdruckst in seinem Abgeordnetensessel, weil er sich
darüber ärgerte, dass die Kanzlerin so erfolgreiche Wirtschaftsdaten
vortragen konnte. Denn die sind vor allem noch der schröderschen
Agenda-Politik geschuldet. Nur will die SPD – zum Leidwesen
Steinbrücks – davon nichts mehr wissen.

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