Den Mythos von der Männermörderin begründete Angela
Merkel im Jahre 2002, als sie nach der Bundestagswahl dem
Wirtschafts- und Finanzexperten Friedrich Merz den Fraktionsvorsitz
entriss. Parteivorsitzende war sie schon. CSU-Chef Stoiber hatte
soeben die Wahl gegen Schröder vergeigt. Damit war die Führungs- und
Kandidatenfrage geklärt: Angela Merkel ruhte auf den zwei Säulen der
Macht – Partei und Fraktion. Gerhard Schröder immerhin brachte einen
glänzenden Wahlsieg aus Niedersachsen mit, die störrische SPD hielt
ihm Oskar Lafontaine vom Hals. 1998 hielt der Kandidat nicht alle,
aber viele Machtressourcen in der Hand. Macht, das bedeutet zuerst
Handlungsfreiheit, das Gegenteil von Getriebensein. Peer Steinbrück
hat davon derzeit wenig. Ohne Führungsfunktion, ohne großen Sieg im
Gepäck beginnt der SPD-Herausforderer seinen Wahlkampf aus dem
schwarzen Loch der Einsamkeit. Denn wer keinen Posten hat, hat wenig
Mitarbeiter. Und Steinbrück wird so leicht keine finden. Die fähigen
Kräfte sind in den Oppositionsjahren abgewandert, in die Freiheit
oder die Länder, zum Beispiel Kajo Wasserhövel und Matthias Machnig.
Die beiden haben seit 1998 alle vier Bundestagswahlkämpfe der SPD
geprägt, die immerhin in drei Regierungsbeteiligungen mündeten. Der
eiserne Franz Müntefering hatte das Duo einst installiert und ihm
Freiheit, Sicherheit und Vertrauen vermittelt. Machnig ist Minister
in Thüringen, Wasserhövel glücklich mit seinem eigenen Büro und beide
kaum in der Stimmung, sich mit Andrea Nahles über Plakatmotive
austauschen zu wollen. Die Generalsekretärin der SPD ist derzeit das
größte Problem Steinbrücks. Sigmar Gabriel hat es geschafft, die
Personalie Nahles ausdauernd zu vertagen. Noch so eine ungeklärte
Machtfrage, die vordergründig für Ruhe, in Wirklichkeit aber für
Unsicherheit sorgt, was sich bei Steinbrücks Wahlkampfstart deutlich
zeigte. Ein gelungener Auftakt wäre gewesen, den Kandidaten mit einer
gewissen Dramaturgie in den Wahlkampf zu schießen, ein Team zu
präsentieren, mit einer großen Rede die ersten Wegmarken zu setzen.
Profis machen dafür lange vorher Pläne. Doch im Willy-Brandt-Haus ist
von strategischem Vermögen wenig zu spüren; hier herrscht das Prinzip
Misstrauen. Drei Reklamebuden belauern sich gegenseitig, wer denn
wohl den großen Wahlkampfetat bekommt. Die Mitarbeiter gehören zum
Nahles-Lager oder zum Gabriel-Clan. Wer kann, haut ab. Und Totstellen
ist nicht nur im Tierreich eine Überlebenstaktik. Keine guten Leute,
keine erfahrene Agentur, dafür eine ungeliebte Kampagnen-Anführerin,
die aber faktisch auf der Wahlkampfkasse sitzt – mit diesen
Strukturen wird der Kandidat Steinbrück alles, vor allem irre, aber
garantiert nicht Kanzler. Zu den immer gültigen Machiavellismen der
Politik gehört die Weisheit, dass Grausamkeiten am Anfang zu begehen
sind. Maximal bis Weihnachten hat Steinbrück den Schwung des
Aufbruchs im Kreuz, um die Kleinkrieger im Willy-Brandt-Haus zu
bändigen. Wer Macht will, muss manchmal brutal sein, gerade am Beginn
des Weges. Ein Teddy-Peer wird nicht viel bewegen.
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