BERLINER MORGENPOST: Bürgergesellschaft gegen Technokratenlogik – Leitartikel

Vor einem dreiviertel Jahr schreckte die Deutsche
Flugsicherung die Bürger in Potsdam und dem Berliner Südwesten auf
mit Vorschlägen für die Flugrouten vom neuen Flughafen Berlin
Brandenburg International. Die Flieger sollten nach dem Start von der
Nordbahn lärmend über das Stadtgebiet abdrehen. Die von allen
erwarteten parallelen Abflüge seien nicht sicher. Unzählige
Demonstrationen, Debatten und Petitionen später stehen die Bürger
wieder am Anfang. Noch immer ist keineswegs ausgemacht, dass sie vom
Krach verschont bleiben. Immerhin hat sich die Fluglärmkommission
geeinigt und empfiehlt, die Flugzeuge mögen im weiten Bogen um
Wannsee und Potsdam herumfliegen. Wer das als Erfolg wertet, ist
bescheiden. Da haben sich Politiker und Betroffenenvertreter geeinigt
und sich auf die Seiten der zu Recht um ihre Interessen kämpfenden
Bürger geschlagen. Nur leider ist dieses Ergebnis nicht verbindlich.
Letztendlich haben die Sicherheitsfachleute das Wort. Wenn die sagen,
es geht nicht, was das Volk sich da wünscht, dann geht es eben nicht.
Sie haben als einzige die notwendige Expertise und tragen am Ende die
Verantwortung. Punkt. Behörden wie die Deutsche Flugsicherung sind
offensichtlich auch nach Stuttgart 21 nicht in der Lage, sich in
demokratischen Debatten vernünftig zu präsentieren, den Menschen
mögliche Sachzwänge nachvollziehbar zu erklären und andere
Sichtweisen als ihre eigene in eine Entscheidung mit einzubeziehen.
Und die Politiker sind nicht fähig, der Expertenlogik etwas
entgegenzusetzen. Sollten am Ende von der Flugsicherung andere Routen
verfügt werden als die von der Kommission empfohlenen, wird das vor
allem für den Regierenden Bürgermeister und Flughafen-Aufsichtsrat
Klaus Wowereit vier Monate vor der Landtagswahl massive Folgen haben.
Wenn sich das Wirken der Lärmkommission als Wind um Nichts entpuppt,
wird der Bürgerzorn im Südwesten weiter wachsen. Schon jetzt
behaupten viele, Wowereit und seine Flughafen-Manager hätten bewusst
die lange bekannten Routen-Planungen verschwiegen, um überhaupt
Zustimmung und Baugenehmigung für den BBI zu bekommen. Man muss
solche Verschwörungstheorien nicht glauben. Aber in der Tat ist die
von angeblichen Sachzwängen bestimmte Haltung der Flugsicherung eine
Folge politischer Vorgaben. Dass der BBI so stadtnah entstehen soll,
war eine politische Entscheidung der seinerzeit CDU-geführten Bundes-
und Berliner Landesregierung. Und dass BBI ein Drehkreuz werden soll
und nicht nur ein Regionalflughafen, ist berechtigter Wunsch und
Vorgabe der Politik. Wie und wo die vielen Jets abfliegen sollen,
darüber hat sich jedoch über Jahre niemand ernsthafte Gedanken
gemacht. Stattdessen wurden Hoffnungen geweckt, man könne die
Sachzwänge ignorieren und alles haben: einen großen, wirtschaftlich
erfolgreichen Flughafen als Wachstumsmotor für die Region und Ruhe
für die Anwohner. Kein Wunder, wenn sich Bürger verschaukelt fühlen.
Aber vielleicht springen die Fachleute über ihren Schatten und folgen
der Empfehlung. Es wäre ein Triumph der Bürgergesellschaft über die
Logik von Technokraten und Managern.

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