BERLINER MORGENPOST: Dem Gegner Futter geliefert / Leitartikel von Hajo Schumacher

Wer sein Firmenjubiläum ein wenig schmücken will,
das sommerliche Grillfest oder die Einweihung des neuen Möbelhauses,
der mietet sich einen prominenten Redner. 45 Minuten Vortrag eines
bekannten Fernsehmoderators kosten so viel wie ein gut ausgestatteter
Mittelklassewagen – oft eine gute Investition. Die Veranstaltung
gewinnt an Glanz, das Publikum staunt andächtig und bittet hinterher
um ein Autogramm. Prominenz geht immer. Auch Hirnforscher,
Wirtschaftswissenschaftler oder Mediziner werden gern genommen, das
Honorar entspricht dem Gegenwert eines Kleinwagens russischer
Herkunft. Für den Preis eines abgeranzten Gebrauchtwagens schließlich
sind Journalisten zu haben; der Autor dieser Zeilen etwa trägt für
Geld Wissenswertes aus der Welt der neuen Medien vor, kundig und
unterhaltsam zugleich. Vorträge sind eine Erlösquelle, weder unseriös
noch böse. Wer je bei abgelesenen Grußworten einschlief, weiß um den
Wert einer schmissigen Rede. Dass der Vortragende kassiert, was der
Markt hergibt, ist sein gutes Recht. Wer würde denn nicht nach einem
Geldschein schnappen, der vor der Nase baumelt? Nach dem Ende der
großen Koalition 2009 war Peer Steinbrück ein gefragter Redner. Er
hatte die Finanzkrise gemanagt, in die hinterste Hexenküchen der
Macht geblickt, ihn umgab die Aura des Weltenretters, zudem ist der
Ex-Finanzminister mit der seltenen Gabe gesegnet, äußerst
unterhaltsam kleine Anekdoten und die großen, langen Linien von
Politik und Gesellschaft zu verknüpfen. Sein Marktwert als Redner ist
allemal fünfstellig. Bei 80 Auftritten dürfte da locker eine Million
brutto zusammengekommen sein, was auch nicht weiter schlimm ist. Das
Geld stammte von Firmen, ist vermutlich ordentlich versteuert worden
und kam mithin zur Hälfte Gemeinwesen und Sozialkassen zugute. Einen
Fehler hat Steinbrück dennoch gemacht: Er agierte nicht als
Pensionär, so wie die früheren Kollegen Schröder, Fischer oder
Riester, die sich ihre Auftritte ebenfalls gut bezahlen lassen,
sondern Steinbrück saß weiterhin im Bundestag. Ein Volksvertreter
aber, der für seine Arbeit als Abgeordneter bezahlt wird, muss sich
erstens fragen lassen, warum er kaum im Parlament redet, dafür umso
häufiger bei Firmen – und zweitens, ob er die Zeit nicht besser mit
Ausschussvorbereitungen hätte zubringen sollen. Dass der Ex-Minister
seine Vorträge plötzlich einstellte, als die Kanzlerkandidatur in
greifbare Nähe rückte, zeugt von Problembewusstsein. Auch wenn
Steinbrück nun seine Engagements offenlegt, wird der politische
Gegner alles daransetzen, das leidige Thema Nebenverdienst bis zum
Wahltag auszuspielen. Bei jedem einzelnen Vortrag lassen sich
schließlich unangenehme Fragen stellen, zum Beispiel, ob es da
irgendwelche Zusammenhänge zwischen politischen Entscheidungen und
nachträglicher großzügiger Vortragshonorierung geben könnte. 80
Vorträge bedeuten 80 Verdachtsmomente, ganz gleich, ob berechtigt
oder bösartig herbeikonstruiert. Steinbrück hat vermutlich nichts
Unrechtes getan. Aber er hat dem Gegner Futter geliefert und sich
damit gleichsam den ersten Test für seine Krisenfestigkeit
eingebrockt.

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