BERLINER MORGENPOST: Die Kunden sind
die Verlierer
Dorothea Siemsüber den neuen Streik der Lokführergewerkschaft und die Zukunft der Bahn

Neue Chaostage bei der Bahn: Die
Lokführergewerkschaft GDL hat ihren angedrohten Arbeitskampf
begonnen. Die enervierenden Warnstreiks der vergangenen Wochen waren
der Auftakt, nun folgt der Ernstfall. Zunächst trifft es den
Güterverkehr. Inzwischen werden auch die Pendler und Reisenden nicht
mehr verschont. Schließlich will die Zwerggewerkschaft ihre Macht
demonstrieren: Alle Räder stehen still, wenn die GDL das will. Und
die 26000 von der Gewerkschaft aufgestachelten
Lokomotivführer haben überhaupt kein Problem damit, Millionen
Fahrgäste und Zigtausende Unternehmer in Geiselhaft zu nehmen, um
ihre Forderungen durchzusetzen. Auf Verständnis in der Bevölkerung
können die Streikenden nicht hoffen. Zu frisch sind die Erinnerungen
an das wochenlange Bahndesaster in der Weihnachtszeit. Und auch die
Klimaprobleme vom vergangenen Sommer sind noch nicht vergessen. Von
der Berliner S-Bahn, die seit mehr als einem Jahr völlig aus
dem Takt ist, ganz zu schweigen. Für eine Hauptstadt und bedeutende
Tourismus-Metropole sind derartige Mängel in der
Verkehrsinfrastruktur fatal. Diesmal liegt es nicht an der Technik,
sondern am menschlichen Faktor, dass die Bahn wieder einmal nicht
kommt. Der Imageschaden für dieses einst so zuverlässige
Transportmittel ist immens. Und viele zornige Kunden werden sich
überlegen, ob sie in Zukunft nicht besser die Schiene meiden. Dass
die Lokführer trotz des arg ramponierten Rufs der Bahn in den
Ausstand treten, zeigt, wie wenig sie sich mit dem
Dienstleistungsunternehmen identifizieren – und wie wenig sie von
Kundenpflege halten. Mit ihrem Streik will die GDL in erster Linie
einen Branchentarifvertrag für alle Bahnunternehmen durchsetzen. Die
privaten Konkurrenten sollen die besseren Arbeitsbedingungen der
Deutschen Bahn übernehmen. Kurioserweise lässt die
Gewerkschaftsspitze aber vor allem den Marktführer bestreiken. Der
Bahn wiederum kommt die Forderung nach einem Einheitstarifvertrag,
mit dem die Konkurrenz geschwächt wird, durchaus gelegen. Die
Verlierer in diesem Spiel stehen somit schon im Voraus fest: Neben
den schwer gebeutelten Kunden trifft es die privaten Bahnunternehmen,
deren Wettbewerbsvorteile kassiert werden. Das ist umso
bedauerlicher, weil der staatseigene Bahnkonzern nur mit mehr und
nicht mit noch weniger Konkurrenz auf Trab gebracht wird. Die GDL
aber schaufelt sich mit ihrem irrationalen Arbeitskampf selbst ein
Grab. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Arbeitgeber drängen die
Bundesregierung dazu, solchen Spartengewerkschaften per Gesetz den
Garaus zu machen. Dieser höchst überflüssige Streik liefert den
Befürwortern der Tarifeinheit die besten Argumente. Somit dürfte dies
der letzte Spuk sein, mit dem die GDL die Bahnkunden quält. Für die
Berliner aber ist das nur ein kleiner Trost. Denn ihr Ärger mit der
S-Bahn wird noch lange Zeit weitergehen. Wenn sich etwas nicht
dramatisch ändert, wird die Deutsche Bahn künftig damit leben müssen,
dass die Zahl ihrer Wutkunden immer weiter wächst.

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