Rituale des Abschieds haben eine heilende Wirkung.
Vor allem Kinderpsychologen und Kirchenmenschen wissen das. Doch wenn
Rituale in der Öffentlichkeit ablaufen, sodass Bilder entstehen, die
alle sehen können, steht diese Wirkung der Heilung auf dem Prüfstand.
Auch beim Großen Zapfenstreich: viel Ritual, viel archaisches
Brimborium, meist auch hübsche Bilder mit Helmen und Fackeln und
einem (tragischen) Helden, die ihre eigene Geschichte davon erzählen,
wer da geht und was er hinterlässt. Guttenbergs bübisches Glucksen,
als die Bundesblechbläser „Smoke On The Water“ spielen, Köhlers und
Schröders feuchte Augen, als sie „ihr Lied“ hören – den „Saint Louis
Blues“ der eine, „I Did It My Way“ der andere. In diesen Szenen
verdichtet sich noch einmal, was vorher passiert ist: Abwahl,
Rücktritt, Scheitern. Der Kreuzungspunkt von Bedeutung des Amtes und
persönlichem Schicksal. Manchmal auch das Gefühl der verletzten
Eitelkeit, weil man nun halt doch gehen muss – viel Tragik mit
Trommelwirbel. Jetzt also Wulff. Und mithin die Frage: Ist auch
dieser Abschied heilsam? Über die Würde des Amtes und die
Würdelosigkeit des Amtsinhabers ist viel geschrieben und gestritten
worden. Beides kam an diesem Abend vor dem Schloss Bellevue noch
einmal fast schmerzlich nah zusammen: Da steht einer, der die
Geduldsgrenze vieler Bürger deutlich überdehnt hat – und die Soldaten
salutieren. Doch genau deshalb ist dieses Ritual des Abschieds so
wichtig und richtig: Es ist vorbei, lautet die Botschaft – endlich,
möchte man anfügen. Endlich ist es nun Zeit, die Dinge wieder an den
Ort zu stellen, wo sie hingehören: Die weiteren Ermittlungen der
Staatsanwaltschaft werden juristisch das aufarbeiten, was juristisch
auf dem Tisch liegt, inklusive Unschuldsvermutung bis zum endgültigen
Urteil – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und die Wahl des neuen
Bundespräsidenten wird es uns politisch hoffentlich ermöglichen, das
aufzuarbeiten, was uns der Fall Wulff auch politisch hinterlässt. Das
ist zuallererst die Wiedererweckung der Autorität eines Amtes, das
diese Republik braucht: einen Bundespräsidenten, der eben nicht
direkt gewählt wird, mit all den medial verstärkten Vereinfachungen,
Versprechungen und Anbiederungen, die so ein Wahlkampf eben mit sich
bringt. Sondern ein Verfassungsorgan, das seine Unabhängigkeit mit
der Kraft des Wortes und der Qualität überparteilicher und
gesamtgesellschaftlicher Gedanken ausfüllen muss. Dazu gehört aber
zweitens auch die wichtigste inhaltliche Botschaft, die Christian
Wulff in seiner knappen Amtszeit hatte: die Zukunft einer
bürgerlichen Gesellschaft im Zeitalter der Globalisierung, in der die
Frage nach der Stellung des Islam auf die Tagesordnung gehört.
Christian Wulff hat dies wie kein Bundespräsident vor ihm klar
benannt – zuletzt in seiner Abschiedsrede gestern Abend. Und seine
Frage ist, wie man vor allem auch in Berlin jeden Tag sehen kann,
noch keinesfalls befriedigend beantwortet. Der Neuanfang ist also
wichtig. Er wird möglich durch das Ritual des Endes. Die Bilder der
letzten Nacht geben das sichtbare Zeichen dieses Neustarts. Ab heute
sollte er endlich beginnen.
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