BERLINER MORGENPOST: Jetzt kann er zeigen, wie gut er wirklich ist – Leitartikel

Sie ist die größte Institution dieser Republik. In
der Bundeswehr dienen noch immer rund 250.000 Frauen und Männer für
unser aller Sicherheit; manche von ihnen auch im Kriegseinsatz. In
einer solchen Streitmacht, die bislang der Wehrpflicht wegen auch als
Spiegelbild der Gesellschaft galt, sind interne Probleme und
Konflikte unvermeidbar. Sie dürfen allerdings ein gewisses Maß an
Schärfe und Häufung nicht überschreiten. Bei dem, was dieser Tage in
die Öffentlichkeit getragen wurde, sind die in einer
Mammutorganisation anfälligen Alltagsprobleme in unakzeptabler Weise
überschritten worden. Es sind gleich drei Fälle, die geradezu
schocken. Da gab es vor zwei Monaten eine meutereiähnliche
Auseinandersetzung auf der „Gorch Fock“, dem bislang so stolzen
Segelschulschiff für den Offiziersnachwuchs der deutschen Marine. Die
Öffentlichkeit erfuhr erst jetzt davon. Dann der Bruch des
Briefgeheimnisses. Offensichtlich keine Einzelfälle, sondern über
einen längeren Zeitraum sind Briefe von Soldaten im
Afghanistan-Einsatz an ihre Angehörigen geöffnet und kontrolliert
worden. Ein ungeheurer Vertrauensbruch, zudem eine schwere Straftat.
Das Briefgeheimnis ist ein Grundrecht, unveränderbar festgeschrieben
im Artikel 10 unserer Verfassung. Und schließlich kam wiederum jetzt
erst nach Wochen heraus, dass sich ein Hauptgefreiter nicht, wie von
der Bundeswehr zunächst behauptet, beim Waffenreinigen selbst
erschossen hat, sondern bei einer „Waffenspielerei“ von einem
Kameraden getötet wurde. Sollte da unmittelbar vor dem
Weihnachtsbesuch der Bundeskanzlerin am Hindukusch einiges unter den
Teppich gekehrt werden? Ein paar schwerwiegende Fälle zu viel in so
kurzer Zeit. Die beiden erst erwähnten sind zudem erst durch den
Wehrbeauftragten bekannt geworden. Das deutet auf bewusste
Vertuschung und falsche Kameraderie hin. Und stimmt zusätzlich
nachdenklich angesichts des Umbaus der Bundeswehr von einer
Wehrpflicht- zu einer Freiwilligenstreitmacht. Letztere hat die
Tendenz, sich stärker von der Gesellschaft abzugrenzen als eine
Truppe, zu der alle Schichten der Gesellschaft eingezogen werden, die
deshalb offener ist. Ein Verteidigungsminister kann nicht jedes
Schiff oder jedes Lager in Afghanistan kontrollieren. Selbst ein
Karl-Theodor zu Guttenberg nicht. Aber die Fälle sind so gravierend,
dass er schnellstens und gründlichst für Aufklärung sorgen muss. Denn
es geht um mehr als Vertuschungsversuche und Falschinformationen. Es
stellt sich die Frage nach dem Selbstverständnis der Bundeswehr, wie
sie mit internen Problemen und Konflikten umgeht. Die politische
Gesamtverantwortung dafür trägt letztlich – wie immer – der Minister.
Spätestens jetzt ist Karl-Theodor zu Guttenberg in der Realität der
Bundeswehr angekommen. Sie wird zu seiner Bewährungsprobe. Er hat
schon einiges angeschoben, vor dem sich seine Vorgänger gedrückt
haben. Jetzt muss er gegen alle Widerstände vollenden, was er mit
Elan begonnen hat. Auch die Aufklärung der jüngsten skandalträchtigen
Affären. Vor allem aber den Totalumbau der Bundeswehr. Gelingt der,
ist Guttenberg in der Tat zu noch Höherem in der Politik berufen.

Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de