Helmut Kohls Langzeitkoalition mit der FDP hat auch
deshalb 16 Jahre gehalten, weil er sich nicht auf deren Kosten
profilierte und ihr politisch mal was gönnte. Mitschuld an der miesen
Stimmung innerhalb der jetzigen Koalition ist der Verlust dieses
kohlschen Führungsstils. Von Angela Merkel und deren CDU fühlen sich
die Liberalen zunehmend belächelt und missachtet, wenn es um ihre
ureigenen Anliegen geht. Oder gar als Stimmvieh von einer Kanzlerin
missbraucht, die letztlich macht, was sie will. Bevor der neue
FDP-Vorsitzende Philipp Rösler für das Versprechen, seine Partei
werde jetzt endlich „liefern“, was sie schon so lange versprochen
hat, von der Union wieder nicht ernst genommen und öffentlich
verhöhnt wird, begreift die Kanzlerin endlich: In einer Koalition
muss auch mal der andere punkten. Das ist eine wichtige, allerdings
nicht die entscheidende Überlegung dafür, mit Verzug nun
steuerpolitisch gemeinsam in die Offensive zu gehen, zu der die
Liberalen auch zu Unzeiten nie müde wurden zu blasen. Die brummende
Konjunktur und mit ihr die enorm gestiegenen Steuereinnahmen spülten
allein im ersten Quartal dieses Jahres fast zwölf Milliarden Euro
oder 10,8 Prozent mehr in die öffentlichen Kassen als im gleichen
Zeitraum des Vorjahres. Und ein Ende des wirtschaftlichen wie
steuerlichen Booms ist gottlob nicht in Sicht. Wer jetzt noch
behauptet, Staat und Gesellschaft könnten sich eine Entlastung der
steuerzahlenden Bürger nicht leisten, der will in Wirklichkeit immer
nur mehr für den Staat. Der will nicht aufhören, die Menschen über
Gebühr auszuquetschen, die mit ihrer Arbeit die Wirtschaft auf
Hochtouren halten, ohne selbst viel vom Aufschwung zu haben. Solange
der Staat weiter von jeder Lohnerhöhung rund 50 Prozent abkassiert,
müssen sich alle Leistungsträger von Union und Liberalen verhöhnt
fühlen. Die hatten – unvergessen – im Wahlkampf 2009 versprochen,
eine Steuerpolitik zu betreiben, auf dass sich Arbeit wieder lohne.
Die sich jetzt anbahnende Einlösung des Versprechens setzt sogar den
richtigen Schwerpunkt. Nicht Hoteliers, Unternehmer, Spitzenverdiener
oder andere der FDP nahestehende Klientel sollen entlastet werden,
sondern die Bezieher unterer und mittlerer Einkommen. Bei ihnen
nämlich schlägt das geltende progressive Tarifsystem in Form von
„kalter Progression“ und „Mittelstandsbauch“ besonders hart zu. Weil
zu viele Lohn- und Gehaltsempfänger nach einer tariflichen
Einkommensverbesserung in die nächsthöhere Steuerstufe rutschen.
Zumindest auf einen Teil dieser „heimlichen Steuererhöhung“ scheint
die Koalition verzichten zu wollen. Für ihre Reform brauchen Merkel
und Rösler die Zustimmung des Bundesrats. Dort hat die SPD
mehrheitlich das Sagen. Wird die sich am Ende wirklich versagen
können, wenn die Arbeitnehmer, allen voran die Facharbeiter, von
einem Teil ihrer Steuerlast befreit werden sollen? Und schließlich
Griechenland. Dem Land muss geholfen werden. Davon sind die Deutschen
leichter zu überzeugen, wenn auch sie künftig von ihrer ehrlichen
Arbeit mehr auf dem Konto haben. Seite 3
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