BERLINER MORGENPOST: Kommentar zum Sicherheitskonzept der Bahn

Wenige Liter Brandbeschleuniger und reichlich
kriminelle Energie reichen also, um den Nahverkehr in Berlin lahm zu
legen, die Regional- und Fernzüge aus dem Takt zu bringen und das
Mobilfunknetz empfindlich zu stören – das ist die unheimliche
Erkenntnis nach dem Anschlag auf ein Kabelbündel der Bahn am
Ostkreuz. Dass jetzt, wo uns vor Augen geführt wurde, wie verletzlich
unser Gemeinwesen ist, eine Sicherheitsdebatte entbrennt, war
absehbar. Und eine Diskussion darüber, wie man wichtige Einrichtungen
in unseren Städten schützt, ergibt ja auch Sinn. Ohne Mobilität und
Kommunikation läuft nichts im Land, sie sind Grundpfeiler eines
modernen Industriestandortes. Die Debatte, die nun losgetreten wird,
geht allerdings in die falsche Richtung. Und sie wird am Ende eines
nicht bringen: tragbare Konzepte für ein größeres Maß an Sicherheit.
Es ist verführerisch – aber wenig hilfreich – die Deutsche Bahn ins
Visier zu nehmen und ihre Sicherheitsvorkehrungen zu kritisieren. Der
DB-Konzern, der seine Fahrgäste unbestritten oft genug bei Hitze oder
Frost – und in Berlin ganzjährig – stehen lässt, ist in diesem Fall
Opfer eines Anschlags. Wie die unzähligen Kunden, die seit
Wochenanfang wieder mal vergebens auf die S-Bahn warten. Natürlich
kann man dem Unternehmen vorwerfen, wie so oft schlecht oder gar
nicht über die Einschränkungen informiert zu haben. Bis der
Ersatzverkehr rollte, verging viel zu viel Zeit. Und man muss sich
schon wundern, dass für derart wichtige Kabelstränge keine
Redundanzen vorgesehen sind, Systeme also, die einspringen, wenn
diese Leitungen aus welchen Gründen auch immer tot sind.
Professionelle IT-Manager verlassen sich jedenfalls nicht auf einen
Datenstrang. Offensichtlich hat die Bahn an der falschen Stelle
gespart. Nun aber zu fordern, dass der DB-Konzern insgesamt seinen
Sicherheitsapparat aufrüsten soll, um all die Anlagen im Land zu
schützen, ist mit zu grobem Korn geschossen. Das Gleisnetz ist
34000 Kilometer lang, längs der Trassen stehen 5700 Bahnhöfe,
27000 Züge rattern jeden Tag durchs Land. Was will man
aufbieten, um all das perfekt zu schützen? 160 Millionen Euro gibt
der Staatskonzern ohnehin jedes Jahr für Sicherheitsvorkehrung aus,
3700 Mitarbeiter sind ständig im Einsatz. Wie viele Millionen mehr
müssen es sein, wie viele zusätzlichen Mitarbeiter, um wirklich
sicher zu sein? Und wie viel Technik soll aufgeboten werden – reichen
Zäune längs der Gleise oder sollen es Mauern sein? Eines ist doch
klar: Absolute Sicherheit wird es nicht geben. Aber natürlich sollte
man aus der jüngsten Attacke Lehren ziehen. Zum einen, dass es bei
der Bahn besonders neuralgische Punkte gibt, die besonders geschützt
werden müssen – vor allem wenn Bauarbeiten hinzukommen und Leitungen
wie im Fall des Ostkreuzes umständehalber nicht in der Erde liegen.
Der Schutz dieser Punkte muss Vorrang vor allem haben, Tag und Nacht.
Und es schadet nicht, die Polizei einzubeziehen. Die wichtigste
Erkenntnis, die man aus dem Brandanschlag ziehen sollte, ist
allerdings die, dass andere womöglich genau so schnell Opfer
ähnlicher Attacken werden könnten. Behörden, Unternehmen oder
Parteien sollten ganz schnell sicher stellen, dass bei ihnen – anders
als bei der Bahn – nicht alles an einem einzigen Kabel hängt.

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