BERLINER MORGENPOST: Komnentar zum Baby-Boom im Bundestag

Wir kriegen zu wenige Kinder, aber die wenigen
zeigen wir stolz. Wir haben einen Bundespräsidenten, dem beim
Staatsakt das Söhnchen auf dem Schoß sitzt. Eine
SPD-Generalsekretärin, die gerade Mutter geworden ist: Ella Maria
heißt die Tochter von Andrea Nahles. Und eine Familienministerin,
deren Schwangerschaft in großen Lettern am Kiosk verkündet wird.
Kristina Schröder ist schwanger, im Juli soll das Baby zur Welt
kommen. Mag die Geburtenrate des Landes weiterhin deprimierend
niedrig sein – dort oben, an der Spitze der Republik, weht ein
frischer kinderfreundlicher Wind. Wann hat es das je gegeben?
Plötzlich sind junge Frauen an der Macht. Frauen, die beides wollen:
Kinder und Karriere. Sie leben ein anderes Modell als die
Spitzenpolitikerinnen bislang. Als Frauen wie Angela Merkel oder
Renate Künast, die – ob nun gewollt oder ungewollt – kinderlos
blieben. Oder als Ministerin Schröders Vorgängerinnen Rita Süssmuth
und Renate Schmidt, deren Kinder längst groß waren, als sie den
Amtseid leisteten. Das Versprechen der heutigen Zeit heißt: Beruf und
Familie – alles geht zugleich, alles ist organisierbar, machbar. Das
stimmt ja auch, aber nur irgendwie. Kinder zu haben, hat seinen Preis
– und den muss in der Regel ein Elternteil bezahlen, meist die
Mutter. Kinder zu haben, kostet Zeit. Natürlich kann man sich
berufliche Freiräume organisieren, die Kinder können schon früh die
Krippe oder eine Tagesmutter besuchen, gerade in Berlin ist das kein
Problem. Aber wer Kinder hat, weiß, diese Betreuung hat Grenzen. Die
Tagesmutter, die Krippe, der Kindergarten sind anregend, aber auch
anstrengend für die Kinder. Irgendwann wollen die Kleinen einfach nur
noch nach Hause. Und es tut ihnen gut, dann von der eigenen Mutter
oder dem eigenen Vater abgeholt zu werden. Kinder mögen
Verlässlichkeit. Sie wollen ihre Eltern – und nicht von früh bis spät
Personal. Was heißt das für den familienfreundlichen Arbeitgeber?
Dass sich ab 15 Uhr die Büros leeren. Denn viele Kitas schließen
spätestens um 17 Uhr. Ein echtes Problem – zum Beispiel für die
Werbeagentur, die gerade einen wichtigen Kunden verloren hat und
jetzt finanziell unter Druck steht. Eigentlich, sagt ein Chef hinter
vorgehaltener Hand, müsse man jetzt richtig loslegen, jeden Tag bis
spät abends arbeiten. Aber das geht nicht – zu viele Frauen sitzen
auf Teilzeitstellen. Die seien einerseits teuer, klagt der Chef,
andererseits sei ihr Arbeitspensum stark begrenzt. Was bitte tut eine
Firma, in der nachmittags nur noch die Hälfte der Büros und Telefone
besetzt ist? Die Wahrheit ist: Nicht überall ist öffentlicher Dienst.
In bestimmten Berufen kann man nicht oder nur schwer Teilzeit
arbeiten. Passend zur Nachricht von Schröders Schwangerschaft gibt
auch dazu eine Zahl: Der Frauenanteil in den Vorständen großer
deutscher Unternehmen liegt bei lächerlichen 3,2 Prozent. Für Frauen
ist Kinderkriegen weiterhin eine Karrierebremse. Und ein Elternteil
sollte beruflich einen Gang herunterschalten, sonst kommt man mit
Kind schwer über die ersten Jahre. Ob die Familienministerin Kristina
Schröder das merken wird? Bestimmt. Und wenn nicht sie, dann ihr Mann
Ole.

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