Kommentar „Flensburger Tageblatt“ zur
vorgezogenen Steuersenkung
Für die lächerliche Entlastung zwischen zwei und drei Euro pro
Monat leistete sich die schwarz-gelbe Koalition ein dramatisches
Tauziehen hinter den Kulissen. Besprechungen mussten vertagt werden,
weil sich Finanzminister Schäuble an Fotoreportern vor dem
Konferenzraum störte. Beide Koalitionsfraktionen drohten, den
Gesetzentwurf des eigenen Ministers abzulehnen. Wenn die Gnade des
Terminkalenders Schäuble nicht am Dienstag nach Brüssel geführt
hätte, wäre es womöglich in Berlin zum großen Eklat gekommen.
Gerade noch rechtzeitig vor dem heutigen Koalitionsausschuss
konnte die öffentliche Blamage zwar verhindert werden. Aber das
Tauziehen um den mickrigen Steuerkompromiss zieht die
Handlungsfähigkeit der Merkel-Regierung in Zweifel. Die rückwirkende
Steuer-Entlastung ändert am Glaubwürdigkeitsproblem der FDP nicht das
geringste. Mehr Netto vom Brutto war versprochen. Tatsächlich bewirkt
die Summe der Steuer- und Beitragsveränderungen zum Jahreswechsel für
die meisten Deutschen Einbußen. Die Einkommens-Entwicklung steht auch
im Gegensatz zu den neuen Finanzkonzepten der CSU.
Beschädigt ist vor allem der Finanzminister. Dass dem erfahrensten
Regierungspolitiker des Bundestages die fatale Symbolik entgehen
konnte, in Brüssel über dreistellige Milliardensummen zu verhandeln,
aber zu Hause eine Bürger-Entlastung von 0,1 Prozent des
Bundeshaushalts – bei steigendem Steueraufkommen – zu verweigern, ist
aufschlussreich. In den Koalitionsfraktionen wird über Schäuble in
einer zynisch-abfälligen Weise gesprochen, die ihn mittlerweile zur
tragischen Figur macht. Der CDU-Politiker ist daran mitschuldig. Er
setzt seine Selbstdemontage fort, indem er die verfassungsrechtliche
Veto-Autorität des Finanzministers für relativ unwesentliche
Konflikte vergeudet. Mit diesem Ressortchef, das wurde jetzt
deutlich, ist eine mutige Steuerreform zum Ende der Legislaturperiode
nicht zu verwirklichen.
Autor: Thomas Habicht
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