BERLINER MORGENPOST: Leitertikel von Joachim Fahrunüber die Etatklausur des Berliner Senats

Wachsende Stadt mit knapper Kasse

Es fühlt sich irgendwie gut an, dass die Zeit des Abbaus, des
Niedergangs vorbei ist in Berlin. Die Wirtschaft hat nach jahrelangem
Schrumpfen wieder Tritt gefasst. Junge Menschen aus aller Welt
strömen in die Stadt, studieren, arbeiten, leben. Der laufende
Haushalt ist dank der guten Konjunktur im Plus und sieht dank der
Überweisungen aus dem Finanzausgleich auch nicht schlimmer aus als in
anderen Bundesländern. Selbst in den ausgebluteten Ämtern und
Behörden ist die Talsohle fast überall erreicht. Die Frage, wie man
denn neue, kluge junge Leute gewinnt für Berlins öffentlichen Dienst
hat längst eine viel größere Bedeutung gewonnen als die Klage über
die letzten Stellen, die noch gestrichen werden sollen.

Der Senat und die rot-schwarze Koalition müssen jetzt die Hebel
umlegen: Berlin im Wachstums- und Aufbaumodus zu regieren, ist für
die aktuelle Politikergeneration eine ganz neue Herausforderung.
Wobei jedem klar sein müsste, dass eine Boom-Euphorie wie nach dem
Fall der Mauer sich nicht wiederholen darf. Die Stadt hat 63
Milliarden Euro Schulden angehäuft, von denen ein großer Teil aus der
sorglosen Kreditaufnahme stammt, mit der im vergangenen Jahrtausend
Metropolenträume finanziert wurden. Nach wie vor schleppt Berlins
Etat ein strukturelles Defizit mit sich herum, das bei weniger guter
Konjunktur rasch wieder zu echten roten Zahlen führen kann. Es gilt
also, bei den Ausgaben weiter ein strenges Maß zu halten. Nicht
alles, was wünschbar und schön wäre, wird sich die Stadt leisten
können. Zumal die reichen Geberländer des Südens spätestens 2019
darauf drängen werden, ihre Milliardentransfers an klamme Nehmer
deutlich zu reduzieren. Die finanzielle Lage bleibt also schwierig.

Umso mehr muss die Koalition bei der heutigen Etat-Klausur
Prioritäten setzen. Und das ist schwieriger als zu Zeiten des Abbaus,
als jedes Projekt mit Verweis auf leere Kassen abgebügelt werden
konnte. Seit Rot-Schwarz in wenigen Tagen 444 Millionen Euro für den
Nachschlag zum Flughafen aufgetrieben hat, glaubt keiner mehr das
Totschlagargument, es sei eben kein Geld da. Berlin gibt jedes Jahr
22 Milliarden Euro aus, das ist ja nicht wenig.

Berlin wird es sich nicht leisten können, auf
Zukunftsinvestitionen zu verzichten. Die Frage wird zu klären sein,
was denn wohl dazu gehört. Und so nett, wie das auch wäre, eine
Landesbibliothek für 300 Millionen Euro gehört eher nicht dazu.
Wichtiger sind neue Schulplätze. Wenn zusätzliche Bürger kommen, wie
inzwischen alle Prognosen sagen, brauchen sie Infrastruktur. Während
es aber ein lohnendes Geschäft sein kann, die nicht unbedingt armen
Neubürger mit Wohnraum zu versorgen, ist bei der Bildung die Stadt
gefordert. In Bezirken wie Lichtenberg oder Pankow werden die
Schülerzahlen um 30 Prozent wachsen in den nächsten Jahren. Da wird
Berlin vorausschauend Geld in die Hand nehmen müssen, denn wo es
keine Schulen gibt, ziehen keine Familien hin, wo keine Menschen
hinziehen, gibt es keine wachsende Stadt. Jetzt nicht zu handeln,
birgt die Gefahr, die positive Entwicklung der Stadt abzuwürgen, ehe
sie so richtig begonnen hat.

Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de