BERLINER MORGENPOST: Mit Putin kommt die Kälte zurück Leitartikel von Jochim Stoltenberg über Enttäuschungen in den deutsch-russischen Beziehungen

Groß waren auf beiden Seiten die Hoffnungen auf
eine gemeinsame Zukunft, als mit der Wiedervereinigung der Kalte
Krieg sein Ende fand. Mit dem Auftauchen Wladimir Putins im Kreml
haben sie sich rar gemacht. Das gemeinsame Haus Europa, das Russland
mit den einstigen Gegnern im Westen bauen wollte, ist über das
Fundament nicht hinausgekommen. Selbst das droht nun, da aus dem
Osten neue Kälte heranzieht, zu zerbröseln. Die Enttäuschung auf
beiden Seiten wird zusätzlich dadurch befördert, dass die deutsche
Kanzlerin und der russische Regierungschef in herzlicher
gegenseitiger Abneigung verbunden sind.

Der ehemalige KGB-Mann und sich jetzt gern als Macho
präsentierende Putin tut sich schwer mit der selbstbewussten Frau aus
der ehemaligen DDR im Berliner Kanzleramt. Der gestrige Beinahe-Eklat
im Zusammenhang mit der Beutekunst-Ausstellung in der St.
Petersburger Eremitage reiht sich ein in eine Kette von
Provokationen, die der nach 1990 so laut beschworenen neuen guten
Nachbarschaft nach Kriegsgrauen und Ost-West Konfrontation Hohn
sprechen. Wer wie Russland Anspruch darauf erhebt, zum Mitbewohner im
Haus Europa zu werden, der muss auch dessen Hausordnung respektieren.
Der darf nicht, wie es Putin offensichtlich tut, den Untergang der
Sowjetunion betrauern, sich aufführen wie der Führer einer
Schein-Supermacht und alte Fronten reaktivieren.

Es war ja eine tolle Idee und ein weiterer Schritt der Annäherung,
Beutekunst in Putins Heimatstadt auszustellen und die Schau gemeinsam
von Angela Merkel und Wladimir Putin eröffnen zu lassen. Doch aus
dieser guten Absicht drohte ein weiterer Eklat zu werden. Allein weil
Angela Merkel sich keine weitere Provokation gefallen ließ und
Rückgrat bewies, wurde kein weiteres politisches Porzellan
zerdeppert. Der Kremlchef lenkte ein und billigte ihr zu, an das
international verbriefte Recht auf Rückgabe der von Sowjets nach dem
Krieg verschleppten Beutekunst zu erinnern. Man wünschte sich,
führende deutsche Politiker von der Kanzlerin über den
SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück bis zum Ex-Kanzler Gerhard
Schröder hätten Putin schon früher einmal die Stirn geboten. Anlässe
dazu gab es reichlich. Ein bisschen mehr deutscher Mut hätte Putin
gemäßigt und wäre dem besseren gegenseitigen Verstehen dienlich
gewesen.

Denn die gerade noch abgewendete Peinlichkeit von St. Petersburg
ist ja leider kein Einzelfall als Beleg für das abgekühlte
deutsch-russische Verhältnis. Der Petersburger Dialog zur Förderung
der Zivilgesellschaft ist zur Farce verkommen, die Durchsuchungen der
Adenauer- und der Ebert- Stiftung in Moskau unmittelbar vor Putins
Deutschland-Besuch im Mai üble Provokationen oder die Absage der
gemeinsamen Eröffnung des Deutschlandjahres in Moskau 2012 mehr als
schlechter Stil.

Dabei scheint sich Putin, der selbst ernannte Allmächtige, zu
überschätzen. Er hätte allen Grund, etwas kleinlauter zu sein.
Ungeachtet der Öl- und Gas-Dollars bleibt Russland auf westliche
Partnerschaft angewiesen, um die veraltete Infrastruktur im Lande zu
erneuern.

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