BERLINER MORGENPOST: Nicht alles im Netz ist auszupacken – Leitartikel von Jochim Stoltenberg

„Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los
…“ Wie einst Goethes Zauberlehrling ergeht es uns heute mit dem
Internet. Es eröffnet immer neue Perspektiven und Möglichkeiten, ohne
dass wir Überblick und Kontrolle über die ungeheure Datenmenge sowie
deren Nutzung wahren können. Das Internet – nicht nur ein riesiger
Spielplatz für Computerfreaks, auch eine gewaltige wirtschaftliche
Quelle, die erfolgreich anzuzapfen beträchtlichen finanziellen Gewinn
verspricht. Und weil das alles noch weitgehend in einem rechtsfreien
Raum abläuft, ist die Versuchung groß, immer weiter auszutesten, was
technisch und irgendwann auch zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil
machbar ist. Mit einem solchen Auftrag, nämlich die Möglichkeiten der
Datensammlung in sozialen Netzwerken zur Optimierung des eigenen
Geschäftsfelds zu prüfen, hat jetzt die Schufa für Aufregung gesorgt.
Das ist nicht irgendein Unternehmen, sondern eine Auskunftei, die
über die Kreditwürdigkeit fast jeden Bundesbürgers entscheidet.
Verdenken kann man es Deutschlands führendem Unternehmen zur
Bonitätsprüfung nicht, dass es das jedermann zugängliche Netz voller
unterschiedlichster Informationen für sich brauchbar machen will. Zu
verlockend die Aussicht, die von den Usern bereitwillig dargebotenen
Informationen auch über sehr persönliche Lebensumstände für neue und
alte Geschäftsmodelle zu testen. Weil dazu weder Geheimdaten geknackt
noch andere gesetzliche Widrigkeiten angewendet werden müssen, sind
die Empörungsschreie der Datenschützer, Verbraucherverbände und
Politiker ziemlich wohlfeil. Besonders die der Piratenpartei, die
doch die unumschränkte Offenheit und damit zwangläufig – ob gewollt
oder ungewollt – auch die Nutzung der Inhalte auf ihre Fahnen
geschrieben hat. Eine andere Frage ist, ob die Gesellschaft alles,
was das Netz möglich macht, wirklich akzeptieren und damit erlauben
will. Das sollte sie aus vielen Gründen nicht tun. Die Schufa liefert
dafür ein Beispiel. Mit dem „Staubsauger“ durchs Netz zu gehen, um
Daten zu einem Persönlichkeits- und zugleich Zahlungsfähigkeitsprofil
über nichts ahnende Bürger zu verknüpfen, überschreitet die
Toleranzgrenze auch einer offenen Informationsbörse, wie sie das
Internet ist. Wie sich dagegen wehren? Am einfachsten und sichersten
dadurch, dass man seinen Computer höchst sparsam mit Daten, vor allem
allen persönlichen, füttert. Denn jede Datenpreisgabe wird früher
oder später öffentlich, zugänglich für erwünschte wie unerwünschte
Mitspieler. Weit komplizierter, aber unausweichlich sind gesetzliche
Einschränkungen, wenn der Mensch aus Haut und Haaren nicht endgültig
zu einem nur noch aus Glas werden soll. Das ist leichter gefordert,
als im konkreten Fall paraphiert. Noch lässt die Schufa nur prüfen.
Sie tut damit nichts Unrechtes. Aber nach dem Motto „Wehret den
Anfängen“ ist der Gesetzgeber aufgerufen, Grenzen zu ziehen. Grenzen,
die im Fall Schufa vor ungeahnter persönlicher Ausspähung schützen.

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