BERLINER MORGENPOST: Schwache Regierung, schwache Opposition – Leitartikel

Eine Woche noch, dann ist erst mal Feierabend im
Deutschen Bundestag. Sommerpause. Erholungszeit. Nach zwei Jahren
Schwarz-Gelb braucht man das auch. Dringend, aufseiten der Regierung
wie aufseiten Opposition. Um es kurz, schmerzhaft und ohne Verklärung
der Vergangenheit zu sagen: So schlimm war es lange nicht. Ein fahles
Licht, das zwangsläufig zunächst auf die Regierungsbänke fällt, auf
denen es auch im zweiten Jahr des zweiten Kabinetts Merkel mehr
Ausfälle als Einfälle gibt. Eine Kanzlerin, die übermüdet
Feuerwehrfrau spielen muss in Europa, dabei immer noch am Abgrund
einer neuen Finanzkrise balancierend. Und der in der internationalen
Hektik die innenpolitischen Ideen zur Gänze ausgehen. Welches Projekt
verbindet die sie tragenden Parteien? Wofür steht ihr Kabinett, ihre
Regierung? Für einen Wirtschaftsaufschwung, heißt es jetzt, für gutes
Krisenmanagement. In Wahrheit ist es so, dass vor allem die eigene
Krise die Kräfte gebunden hat. Das gilt personell – Westerwelle,
Guttenberg – wie inhaltlich. Der Ausstieg, die überstürzte Flucht aus
der eigenen Überzeugung, hat das vergangene Jahr geprägt – und nicht
kluge Führungskunst. Die Wirtschaft wächst trotz Schwarz-Gelb, nicht
wegen. Glaubwürdigkeit – das beweist auch die neuerliche
Steuerdebatte, die nichts anderes ist als ein Ablenkungsmanöver –
geht anders. Vertrauen schwindet, das ist kein guter Weg für die
Republik. Zumal die Dinge in der Opposition kaum anders liegen. Die
SPD hat sich nicht im Mindesten erholt von ihrer Wahlniederlage im
Jahr 2009. Für diese schlichte Erkenntnis reicht ein Blick auf die
Umfragen. Auch das liegt zum einen am Personal, das zwar nicht so
müde ist, aber eben auch nicht müde wird, sich gegenseitig madig zu
machen. Sigmar Gabriel, Andrea Nahles, auch Klaus Wowereit müssen nur
mal kurz rausgehen aus dem Saal, dann fallen die eigenen Genossen
schon wieder über ihre Spitzenkräfte her. Zu sprunghaft, zu zickig,
zu larifari. Es braucht gar keinen politischen Gegner, um die
Genossen klein zu halten. Die Mitglieder merken das und gehen lieber.
Jedenfalls kommt kaum noch einer nach. Auch das ist nicht gut für die
Demokratie. Man wird das wieder sehen nach der Sommerpause, wenn
gewählt wird in Mecklenburg. Es kommt also einiges auf die Grünen zu,
die Gewinner des vergangenen Jahres, die ja auch nur Scheinriesen
sind in einem desolaten Umfeld. Sie wirken nur im Kontrast so stark
und aufrecht. Fast schon felsenfest und kanzleresk. In Wahrheit
schwächeln sie bereits, wenn es um einen Bahnhof geht. Um einen
schlichten Bahnhof! Nicht um eine Finanzkrise. Nicht um Leben und Tod
in Afghanistan. Die Partei, auch ihre Basis, täte gute daran, ihre
Maßstäbe zu überprüfen, ehe sie mehr Verantwortung übernimmt. Und die
wird ihr weiter zuwachsen in den kommenden beiden Jahren. Falls
Schwarz-Gelb denn so lange durchhält. Berlin, Mecklenburg-Vorpommern,
dann Schleswig-Holstein, Niedersachsen – alles Länder, in denen ein
Wahlsieg der Union, der FDP gar, nicht in Sicht ist. Was aber macht
Frau Merkel, wenn alles verloren geht, nichts klappt? Tritt sie dann
noch einmal an trotz alledem? Schöne Ferien, also. Und gute Erholung.

Pressekontakt:
BERLINER MORGENPOST
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de