BERLINER MORGENPOST: Täuscher und Täuschenlasser

Die Frage, die sich aufdrängt am Abend eines
solchen Tages, an dem zunächst Karl Theodor zu Guttenberg einen
weiteren Knockout erleben musste, dann auch, vorsichtshalber oder in
einigermaßen weiser Voraussicht, die Freidemokratin Silvana
Koch-Mehrin: Warum müssen Menschen, die ohnehin im Mittelpunkt der
Gesellschaft stehen, auf die sich ohnehin die Scheinwerfer richten,
die eigentlich nichts zu leiden haben, sich dann doch noch immer
etwas wichtiger und wertvoller machen, als sie es ohnehin schon sind?
Können die sich nicht satt sehen an ihrer schnell gewachsenen
Bedeutung, müssen sie dann fast zwanghaft noch mal nachlegen? Und
werden sie so Gefangene ihres eigenen Erfolgs? Zumindest im Fall
Guttenberg liegt dieser Gedanke zunächst nah. Der ehemalige
Verteidigungsminister hat ihn gegenüber der Universität Bayreuth dann
auch gleich ergriffen wie einen letzten Strohhalm. Der
Erwartungsdruck, der Erfolgsdruck, den ihm auch die Familie auferlegt
habe, sei ein Grund gewesen, dass er, das Glückskind, zum Betrüger
wurde. Zu einem der Freunde, Verwandte, Wähler, Parteifreunde,
Unterstützer, vermutlich auch sich selbst hinter die Fichte geführt
hat. Und sie alle, als die Felle unaufhaltsam davonschwammen auch
noch belogen hat nach Strich und Faden. Wer die schwülstige
Abschiedsrede zu Guttenbergs noch im Ohr hat, der konnte gestern
dennoch nicht allzu viel Mitleid empfinden mit einem, dessen
„ungeordnete Arbeitsweise“ mit „gelegentlich chaotischen Zügen“ ihn
vermutlich über kurz oder lang auch ohne Plagiatsaffäre hätte stürzen
lassen. Dass er die im Wissenschaftsbetrieb eingeübte Methode
gelegentlich auch im Verteidigungsministerium angewandt hat, davon
kann sich gerade sein Nachfolger Thomas de Maizière überzeugen. Er
ist nicht zu beneiden um diese Aufgabe. Andererseits: Zu einem
Täuscher gehören auch immer solche, die sich täuschen lassen. Zum
Beispiel jene Professoren, die sich bei der Bewertung der
Doktorarbeit Guttenbergs, vielleicht auch Koch-Mehrins, nicht von
wissenschaftlichen Kriterien leiten ließen, sondern von persönlichen.
Vom Namen der Doktoranden, vom Charme des Freiherrn, von der
Sympathie der jungen Kollegin. Nicht der Kopf urteilte, sondern der
Bauch, das Herz. Das ist menschlich, macht aber eben auch anfällig
für Fehler. Ein zweiter, kühler, anonymisierter Blick auf derartige
Arbeiten würde dem Wissenschaftsbetrieb vermutlich gut tun. Auch die
Politik hat sich täuschen lassen. CSU und CDU und FDP samt Kabinett
und Kanzlerin. Sie alle haben dem Dr. zu Guttenberg eine Karriere
ermöglicht, deren atemberaubendes Tempo fast zwangsläufig gegen die
Wand führte. Sie alle haben auch Silvana Koch-Mehrin eine
Aufmerksamkeit spendiert, die allemal größer war als ihre politische
Bedeutung. Nicht der Politik, auch nicht uns Medien, uns Wählern, die
insbesondere Guttenberg ja erst zu jenem Heiligenschein verholfen
haben, der ihn endgültig zum Scheinheiligen werden ließ. Auch ihnen,
auch uns täte ein zweiter, ein kühler, ein kritischer Blick zuweilen
ganz gut, gerade wenn Euphorie und Empathie einzelne Menschen zu
Projektionsflächen kollektiver Hoffnungen werden lassen. Der
Täuschung wohnt dann fast zwangsläufig die Enttäuschung inne.

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