BERLINER MORGENPOST: Unsere teuren Landessender Leitartikel von Ulrich Clauß über die Kritik der Gemeinden an den neuen Rundfunkgebühren

Bürokratischen Irrsinn“ nennt eine Sprecherin der
Stadt Köln die neue Rundfunkgebühr und begründet so die Entscheidung
der Stadt, gar keine zu zahlen. Viele Kommunen und der Deutsche
Städtetag sehen das genauso. Der Aufwand, die neue Höhe – ein
Vielfaches der bislang fälligen Gebühr – zu ermitteln, erscheint
grotesk, auch in den Berliner Bezirksämtern.

Dort muss die neue Rundfunkgebühr abteilungsweise ermittelt
werden, weshalb die Senatskanzlei keinerlei Überblick über die
Gesamthöhe, geschweige über die damit verbundene Arbeit hat. Die
Daten müssen erst noch zusammengeführt werden, heißt es. Das kann
dauern – und teuer werden. In Charlottenburg-Wilmersdorf zum Beispiel
hat das Bezirksamt schon eine Verdoppelung der Gebühr errechnet. Der
Berechnungsaufwand sei immens, so ist zu hören. Wer zählt die Mann-
und Frau-Tage, die von diesem bürokratischen Kraftakt verschlungen
werden? Trotzdem will Berlin sich erst einmal in diesen Irrsinn
fügen. Von Boykott wie in Köln ist keine Rede.

Wo aber auf den Euro geschaut wird, in der Privatwirtschaft, ist
die Leidensbereitschaft weniger ausgeprägt. Bereits zahlreiche
Unternehmen protestieren gegen den explosionsartigen Anstieg nach dem
neuen Modell und bemühen die Gerichte.

Ganz abgesehen von der grundsätzlichen Frage, wie zeitgemäß
Konstruktion und Finanzierung unserer öffentlich-rechtlichen Systeme
sind, wurde bei der Ausgestaltung der neuen Gebührenordnung ganz
offensichtlich großer Murks abgeliefert. Und man fragt sich, wie ein
derart undurchdachtes Verordnungsgestrüpp seinen Weg durch 16
Länderparlamente finden konnte. Vielleicht, weil die Parlamentarier
in Medienfragen gar nicht mehr hinschauen, wenn die
Ministerpräsidenten bei ihrer rituellen Kaminrunde einmal genickt
haben? Oder weil schon lange kaum ein Parlamentarier mehr durchblickt
durch unser exorbitant alimentiertes Föderalsystem?

Die offensichtlichen Fehler und Inkonsistenzen der neuen
Gebührenordnung sollten für jeden Landesparlamentarier, der sich
selbst in Medienfragen noch ernst nimmt, Anlass sein, endlich genau
hinzuschauen, was die Medienpolitik in diesem Lande eigentlich
veranstaltet. Und sie sollten nicht nur schauen, wie lange sie in
„ihrem“ Landessender auftreten dürfen.

Hinter vorgehaltener Hand ist von Berliner Landespolitikern zu
hören, dass sich angesichts des Gebührenchaos eine neue
Grundsatzdebatte über die Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen
entwickeln könnte. Eine späte Einsicht scheint da heraufzudämmern.
Hoffentlich mit Konsequenzen.

Denn wenn die Landesparlamente sich in Rundfunkfragen weiterhin
als Zustimmungsautomaten missbrauchen lassen, könnten sie eines Tages
die Verantwortung für den Kollaps eines Mediensystems tragen müssen,
das an seinen bürokratischen Absurditäten erstickt ist. Nicht nur,
was die Gebührenordnung angeht. Wenn da einmal etwas ins Rutschen
kommt, könnte es mit diesem öffentlich-rechtlichen System ganz
schnell vorbei sein.

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