Norbert Darabos ist ein gelehriger Schüler von Bruno
Kreisky. Der damalige Bundeskanzler hat vor 34 Jahren in den Raum
gestellt, dass er zurücktreten könnte, wenn die erste
Volksabstimmung in Österreich nicht das von ihm gewünschte positive
Ergebnis bringt. Tatsächlich hat gerade diese Äußerung
Kreisky-Gegner dazu motiviert, sich bei der
Zwentendorf-Volksabstimmung als Atomkraft-Gegner zu deklarieren –
das Votum ging (knapp) gegen Zwentendorf und Kreisky aus.
Zwentendorf blieb zu; Kreisky blieb dennoch im Amt.
Darabos ist klug genug, um die Stärke seiner Gegner zu kennen –
seinem Projekt der Einführung eines Berufsheeres würde es vermutlich
mehr schaden als nützen, wenn er für den Fall seines Scheiterns
seinen Rücktritt in Aussicht stellte. Die pragmatische Haltung des
Ministers eröffnet gleichzeitig die Chance, taktische Überlegungen
in der Wehrpflichtdebatte überhaupt zurückzunehmen. Man weiß
ohnehin, wer eher für die Wehrpflicht ist und wer eher ein
Berufsheer will – aber am Ende geht es nicht darum, ob ÖVP und FPÖ
oder die seltsame rot-grüne Koalition mit der Krone mehr Stimmen
bekommen.
Vielmehr geht es um Österreichs Sicherheit – in einem sehr
umfassenden Sinn, der über den Umweg des Zivildienstes auch Aspekte
der sozialen Sicherheit miteinbezieht.
Das ist eine weitere Parallele zur Volksabstimmung Ende der
1970er-Jahre: Da ging es auch um viel mehr als um das Gesetz, mit
dem die „Inbetriebnahme des Kernkraftwerks Zwentendorf“
(Abstimmungstext) bewilligt werden sollte.
Es ging vielmehr um die Orientierung von Wirtschaft und
Gesellschaft. Da standen auf der einen Seite die
_Fortschrittsgläubigen, Technokraten, Wirtschaftslobbyisten und die
pragmatischen alten Gewerkschafter, die mehr oder weniger ernsthaft
glaubten, in Österreich würden die Lichter ausgehen, wenn das
Atomkraftwerk nicht ans Netz ginge.
Auf der anderen Seite die Skeptiker: junge Linke und alte Schwärmer
für unberührte Natur, kritische Wissenschafter und alternative
Tüftler, die der Meinung waren, dass man mit dem AKW in eine
energiepolitische Sackgasse geraten und den Überwachungsstaat
stärken würde. Auch sie wollten nicht am Status quo festhalten –
aber sie wollten Österreichs Wirtschaft und Österreichs Gesellschaft
in eine andere Richtung entwickeln.
Für sie waren die Monate vor der Volksabstimmung eine Riesenchance:
Sie konnten ihre Argumente präsentieren – und eine breite Diskussion
auslösen, die damals nicht nur in politisch interessierten Zirkeln,
sondern auch in allen Betrieben und in vielen Familien mit
Engagement geführt wurde. Der Erfolg war nicht nur das (eben auch
durch Kreiskys Drohung beeinflusste) Abstimmungsergebnis – der
Erfolg war eine Politisierung der gesamten Gesellschaft. Was exakt
acht Jahre später die ersten Grünen ins Parlament brachte.
Eine solche breit angelegte Debatte, in der Sachargumente und
Träume, gesellschaftliche Vorstellungen und pragmatische
Problemlösungen zur Sprache kommen, könnte auch in der
Wehrpflichtfrage weiterhelfen. Was immer herauskommt: Das Bundesheer
wird jedenfalls nachher anders aussehen; auch die Arbeitsplätze, an
denen Zivildiener eingesetzt werden, können schwerlich so bleiben,
wie sie sind.
Für die Sicherheitspolitik ist das eine große Chance. Man darf
gespannt sein, wie sie genutzt wird.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
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