Die Volksbefragung zur Wehrpflicht ist eine vertane
Chance. Es hätte die Möglichkeit bestanden, eine spannende
öffentliche Diskussion über die Sicherheitspolitik Österreichs und
daraus resultierende Notwendigkeiten zu führen. Es hätte fundierter
Informationen bedurft, die die Bürgerinnen und Bürger in die Lage
versetzen, vor der Stimmabgabe Pro und Kontra abzuwägen. Daraus hätte
sich eine profunde Debatte über die Chancen und Risiken der direkten
Demokratie entwickeln können.
Die Realität war eine andere: ein Hickhack der Parteien, die Debatte
fokussierte sich auf Nebenschauplätze wie Zivildienst und
Katastropheneinsätze. Am Sonntag geht es darum: Liegt die SPÖ vorn
oder die ÖVP?
Dabei haben die Quoten bei den TV-Diskussionen und die Reaktionen
auch auf Standard-Artikel zum Thema Wehrpflicht gezeigt: Das
Interesse war groß, von der viel zitierten Politikmüdigkeit keine
Spur. Aber die Menschen sind nicht abgeholt worden. Weshalb viele,
die eigentlich für mehr direkte Mitbestimmung sind, am Sonntag zu
Hause bleiben werden: Weil sie mit der Fragestellung nicht
einverstanden sind, weil sie sich nicht als Streitschlichter
missbrauchen lassen oder weil sie sich nicht für kompetent genug
halten, Entscheidungen zu treffen, die im Rahmen der repräsentativen
Demokratie idealerweise im Parlament, meistens jedoch in der
Regierung getroffen werden.
Das ist auch deshalb schade, weil diese Volksbefragung zu einer
Aufbruchstimmung hätte führen können, weg von der
„Müdigkeitsgesellschaft“, wie sie der jetzt in Berlin lehrende
Philosoph Byung-Chul Han konstatiert. In Österreich ist gleichermaßen
zu beobachten, was der britische Politikwissenschafter Colin Crouch
als „Postdemokratie“ bezeichnet: dass die demokratischen
Institutionen existieren, aber die Mehrheit der Bürger „eine passive,
schweigende, ja sogar apathische Rolle“ spielt: „Im Schatten von
politischer Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen
Türen gemacht.“
Crouch weist in dem bei Suhrkamp erschienenen Essay auf die Gefahren
hin, die sich daraus ergeben: große Spielräume für Lobbyisten und
eine Form der Politik, die es sich richtet – wie sie derzeit in
Österreich auch in den Gerichtssälen vorgeführt wird und in Salzburg
zum viel zitierten „Systemversagen“ geführt hat.
Diese Entwicklungen gefährden die Demokratie, warnt Crouch: „Die
Demokratie kann nur dann gedeihen, wenn die Masse der normalen Bürger
wirklich die Gelegenheit hat, sich durch Diskussionen und im Rahmen
unabhängiger Organisationen aktiv an der Gestaltung des öffentlichen
Lebens zu beteiligen.“ Der Philosoph Jürgen Habermas spricht von
einer „Fassadendemokratie“ in Europa: Bürger müssen als Steuerzahler
Geld für die Euro-Rettung zur Verfügung stellen und werden nicht
einmal gefragt.
Die direkte Demokratie ist kein Allheilmittel und sogar gefährlich,
wenn etwa Migrantenfragen zur Abstimmung gestellt werden. Wohldosiert
eingesetzt kann sie aber als Mittel gegen Politikverdrossenheit
wirken und Spannung in den politischen Alltag bringen. Das ist in den
vergangenen Wochen nicht gelungen.
Aber die Zeiten, in denen sich Politiker wie einst der bayerische
Ministerpräsident Franz Josef Strauß über das Volk als „vox populi,
vox Rindvieh“ lustig machen können, sind vorbei. Wähler lassen sich
nicht mehr wie Stimmvieh behandeln.
Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445
Digitale Pressemappe: http://www.ots.at/pressemappe/449/aom