DER STANDARD-KOMMENTAR „Schwarz-grüner Abgesang“ von Walter Müller

War es politische Unerfahrenheit oder kann man es
vielleicht sogar einer gewissen Arroganz der Macht, die sich bereits
eingeschlichen hatte, zuschreiben, dass die Grünen in Graz ihrer
erste Regierungsbeteiligung derart fahrlässig in den Sand gesetzt
haben?
Die schwarz-grüne Regierungskoalition in der zweitgrößten Stadt
Österreichs hatte alle Chancen, sich zu einer politischen Musterehe
zu entwickeln, ein Vorzeigebeispiel gelungener Regierungsintegration
unruhiger grüner Geister. Neben Oberösterreich und zuletzt Wien galt
dieses Grazer Experiment als wichtiger Schritt der Grünen auf ihrem
langen Weg zu einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene. Ein
Experiment, das jetzt grandios gescheitert ist – mit noch nicht
absehbaren Folgen für die gesamte grüne Partei. Denn das Signal, dass
von Graz jetzt ausgestrahlt wird, ist eigentlich ein Warnung: Grüne
sind noch nicht fit für Regierungsämter, sind nicht pakttreu, dafür
chaotisch.
So argumentiert in etwa auch ÖVP-Bürgermeister Siegfried Nagl, der
den Koalitionspartner jetzt vor die Tür gesetzt hat. Das ständige Hin
und Her, die fehlende Verlässlichkeit bei wichtigen,
millionenschweren Stadtprojekten habe ihm jetzt gereicht. Es sei in
der Stadt nichts mehr weitergegangen. Er sei praktisch gezwungen
gewesen, einen Schlussstrich zu ziehen.
Grünen-Vizebürgermeisterin Lisa Rücker kann zwar weiter im Amt
bleiben – sie wurde vom Gemeinderat in ihren Posten gewählt – , Nagl
sucht sich aber bis zur Wahl im Jänner 2013 neue Mehrheiten und
schwört: Mit den Grünen werde er künftig nie wieder eine Koalition
eingehen. Jetzt droht wieder Altbekanntes: eine Zusammenarbeit mit
den Roten – seit der letzten Wahl ein Häufchen Elend und schmelzbar
wie Butter in Nagls Hand.
Dabei hatte es mit den Grünen durchaus spannend begonnen. Der Grazer
ÖVP-Bürgermeister war als stockkonservativer Schwarzer angetreten,
mit den grünen Fundis eine Koalition zu bilden. Die FPÖ war ihm nach
dem extrem ausländerfeindlichen Wahlkampf denn doch zu „dirty“, und
die Roten lagen nach der verheerenden Niederlage am Boden. Auch kein
idealer Koalitionspartner. Nagl hatte zuvor zwar schon mit
unsäglichen Sagern über Türkenbollwerke und Homosexuelle, die Abkehr
im Glauben suchen sollen, die politische Öffentlichkeit links der
Mitte verschreckt. Die Lust der Grünen nach Regierungsmacht war aber
doch größer. Und es lohnte sich. Zumal sich Nagl in der Partnerschaft
mit der Grünen-Chefin Lisa Rücker, die in Partnerschaft mit einer
Frau lebt, wirklich änderte. Er sei toleranter geworden, schwor Nagl.
Auch die Grünen gaben es zahmer. Ab der Hälfte der Regierungsperiode
wurde es mühsamer. Es kamen die wirklich großen kommunalpolitischen
Brocken: das Großprojekt eines Staukraftwerks, eine Shoppingmall am
neuen Bahnhofsgelände und der Ankauf eines Grundstückes zum Bau eines
neuen Stadtteils. Die Grünen steuerten überall dagegen und
ignorierten die Schmerzgrenze der ÖVP und das Maß, wie weit man den
politisch so ganz anderen Koalitionspartner belasten kann.
Lisa Rücker hat die Grünen in Graz sehr geschickt in diese Koalition
mit der ÖVP geführt – und sie jetzt ungeschickt wieder zerstört. Und
damit auch für die Bundespolitik die wichtige Frage bezüglich einer
Regierungsfähigkeit der Grünen neu aufgeworfen.

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Der Standard
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