DER STANDARD-Kommentar „Wundertüte des Wahlkampfs“ von Gerald John

Wahlkämpfe wirken Wunder: Eben noch hat die Regierung
mit Hängen und Würgen ein Sparpaket geschnürt, da verpackt sie schon
wieder vergnüglich Geschenke. Plötzlich tauchen in den Kassen
allerlei Ministerien Rücklagen in dreistelliger Millionenhöhe auf,
die es schleunigst zu verjubeln gilt. Ganz oben auf der Gabenliste:
die Familien. Nach Frauen- und Finanzministerin schlüpft nun Reinhold
Mitterlehner in die Rolle des Wohltäters. Der Familienminister will
seine dank (noch) guter Beschäftigungslage sprudelnden Einnahmen
verbraten, um die Familienbeihilfe aufzubessern. Ein schlappes Jahr
vor der Nationalratswahl verwundert es nicht, dass es dabei nur
Gewinner geben darf – mit einem strahlenden Ressortchef in der ersten
Reihe. Isoliert betrachtet, ist Mitterlehners Modell durchaus
vernünftig. Tatsächlich tut es not, das aktuelle System mit seinen
reichlich komplizierten Staffelungen und Extraleistungen zu
vereinfachen. Sinnvoll ist es überdies, Familien mit direkten
Transferzahlungen unter die Arme zu greifen: So kommt das Geld
wenigstens auch bei jenen an, die es am nötigsten brauchen. Doch der
Blick aufs große Ganze offenbart die Tücken. Denn anders als etwa
Industriellenvereinigung und Arbeiterkammer vorschlagen, will die ÖVP
im Gegenzug zu einer höheren Familienbeihilfe die steuerlichen
Förderungen nicht streichen, sondern vielmehr zu einem
Kinderfreibetrag im Riesenformat ausbauen. Diese Idee ist schon für
sich genommen schlecht, weil a priori mehr als 2,5 Millionen
Niedrigverdiener ausgeschlossen wären, die keine Einkommenssteuern
zahlen; im Verein mit einer aufgefetteten Familienbeihilfe weist sie
umso deutlicher in die falsche Richtung. Schon bisher ging der Staat
mit Goodies für die Familien nicht knausrig um: Von den knapp 9,5
Milliarden Euro, die Bund, Länder und Gemeinden zuletzt pro Jahr
ausgeschüttet haben, entfiel der Löwenanteil auf finanzielle
Leistungen. Mit dem Ergebnis sind aber nicht zuletzt die Politiker
selbst unzufrieden, die durch die Bank Österreichs niedrige
Geburtenrate beklagen. Mit nur noch mehr Geld für das ewig Gleiche
wird sich die Trendwende kaum einstellen, zumal dann zu wenig für die
wichtigste Form der Familienförderung übrig bleibt: die
Kinderbetreuung. Paare werden sich nur dann öfter zu Kindern
durchringen, wenn auch für Frauen die entscheidende Voraussetzung für
Selbstverwirklichung und soziale Sicherheit erfüllt ist: die Chance,
trotz Familie zu arbeiten. Dafür braucht es ausreichend viele und
gute Angebote, um Kinder während der Arbeitszeit betreuen zu lassen.
Die Mehrzahl der Regierungspoli_tiker hat das, auch aufseiten der
traditionell skeptischen ÖVP, wohl erkannt. Investitionen in den
vergangenen Jahren brachten beträchtliche Fortschritte, dennoch gibt
es immer noch Aufholbedarf. Es fehlt nicht nur an zehntausenden
Betreuungsplätzen, sondern auch an Qualität. Manche Einrichtungen
sperren zu häufig zu, andere sind einfach zu teuer. Leider hat diese
Art der Familienförderung einen Nachteil: Ein Kindergarten, der
irgendwann irgendwo eröffnet, eignet sich weniger als
Wahlkampfschlager als Geld- und Steuergeschenke. Werfen die Politiker
mit Letzterem um sich, droht beim Ausbau der Kinderbetreuung
Gröscherlzählerei, denn alles auf einmal ist nicht realistisch. Auch
nach Wahlen hat die Regierung keine Wundertüte zur Hand, in die sie
bloß tief genug greifen muss.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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