FT: Gabriels Sprechblasen

Die Äußerungen von SPD-Chef Sigmar Gabriel zur
Autoritätskrise des Bundespräsidenten gehen an der Sache vorbei.
Gabriels populäre Forderung, Politiker sollten sämtliche Einkünfte
veröffentlichen, ist im niedersächsischen Ministergesetz und in den
Verhaltensregeln der Bundestagsabgeordneten bereits umgesetzt. Die
Vorhaltungen gegen Wulff erfordern keinen neuen Ehrenkodex, sondern
Aufklärung, warum er klare Regeln spitzfindig umgangen hat. Die
Sprechblasen des SPD-Vorsitzenden zeugen von dem Dilemma aller
Parteien: Nach dem vorzeitigen Rückzug zweier Amtsinhaber wäre die
Autorität des Staatsoberhauptes so beschädigt, dass nur ein
Übermensch neue Maßstäbe setzen könnte, den keine Partei hat. So
berechtigt die Kritik an Wulffs Verhalten ist, würde die
Vergangenheit jedes Kandidaten nach dieser Erfahrung mikroskopisch
geprüft und hinterfragt werden. Es liegt auch im Interesse der SPD,
dass Wulff die dreieinhalb weiteren Jahre seiner Amtszeit dazu nutzt,
den Vertrauensverlust durch anerkanntes Wirken selbst wieder gut zu
machen. Johannes Rau war das nach seiner Flugaffäre gelungen, ohne
dass das höchste Staatsamt beschädigt und seinem Nachfolger eine
jungfräuliche Empfängnis abverlangt worden wäre.

Kommentar von Thomas Habicht

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