Beschämende Politik – Scheitern der
Hartz-IV-Reform provoziert Klagewelle
von Anette Asmussen
Noch vor dem Gesetz kommen die Klagen – das dürfte in der
deutschen Geschichte einmalig sein. Der schwarz-gelben Koalition ist
ein Eintrag in die Geschichtsbücher sicher, wenn die Hartz-IV-Reform
morgen im Bundesrat scheitern sollte. Sie wäre die erste Regierung,
die es nicht schafft, verfassungsrechtliche Vorgaben rechtzeitig
umzusetzen und so ihre Bürger zu Tausenden vor die Gerichte treibt.
Das ist dramatisch. Und die Verantwortlichen? Sie bleiben gefangen
in ihrem politischen Geplänkel auf der Wahlkampfbühne 2011: Die SPD
gibt sich sozialstaatlich und beharrt darauf, „equal pay“ in der
Leiharbeit zusammen mit Hartz IV zu regeln. Die
arbeitgeberfreundliche FDP mauert bei den Fristen. Erst nach neun
Monaten soll es „gleiches Geld für gleiche Arbeit“ geben. Die meisten
Leiharbeiter sind ja nach drei Monaten wieder aus den Betrieben
verschwunden. Und die Union achtet mit Blick auf ihr wohlsituiertes
Klientel darauf, nicht zu viel Geld für sozial Schwache auf den Tisch
zu legen. Mehr als fünf Euro gibt es nicht, auch wenn die
entsprechende Berechnung die Vorgaben des Verfassungsgerichts
erfüllt.
Politische Verantwortung aber trägt niemand mehr. Lieber schieben
sich die Akteure die Schuld am Scheitern erst gegenseitig zu – und
danach den Schwarzen Peter weiter ins Saarland. Wird
CDU-Ministerpräsident Peter Müller sich dort gegen den Willen des
grünen Koalitionspartners für die Hartz-IV-Reform aussprechen und den
Bruch der ersten Jamaika-Koalition Deutschlands riskieren? Möglich
wär–s, Müller hat seinen Rücktritt aus der Politik bereits erklärt
und geht – ausgerechnet – als Richter zum Bundesverfassungsgericht
nach Karlsruhe.
Auf der Strecke bleiben bei alledem die Betroffenen, diejenigen,
die von Hartz IV leben. Nicht nur, weil sie nicht wissen, wie es
weitergeht. Wirklich beschämend ist, wie wenig Respekt sie von
Politik und Gesellschaft in der aktuellen Diskussion erfahren. Ihr
einzig möglicher Protest in dieser Situation ist es zu klagen –
selbst wenn ihnen kein Gesetz das Recht dazu gibt.
Pressekontakt:
Flensburger Tageblatt
Anette Asmussen
Telefon: 0461 808-1060
redaktion@shz.de