Westdeutsche Zeitung: Beschämender Poker im Superwahljahr =
Von Anja Clemens-Smicek

Verantwortungslos. Anders lässt sich das
Verhalten von Regierung und Opposition in den gescheiterten
Hartz-IV-Verhandlungen nicht beschreiben. Statt der
unmissverständlichen Ansage der Karlsruher Richter nachzukommen und
die gesetzliche Grundsicherung bis zum Jahresende 2010 neu zu
berechnen, wurde sieben Wochen lang in endlosen Gesprächsrunden wie
auf einem Basar gefeilscht. Und warum das alles? Weil das
Superwahljahr eröffnet ist und die Parteien im Hartz-Poker einen
willkommenen Anlass sehen, das eigene Profil zu schärfen. Ein
Armutszeugnis für die politische Klasse im Land und eine sträfliche
Missachtung des obersten deutschen Gerichts. Die SPD nutzt die
veränderte Statik der Macht im Bundesrat dazu, als sozialste Partei
im Land aufzutrumpfen. Dabei überfrachtet sie die Verhandlungen mit
Forderungen nach einer Neuregulierung bei der Zeitarbeit,
zusätzlichen Sozialarbeitern an Schulen und einer generellen Anhebung
von Hartz IV. Union und FDP hingegen sind allzu sehr bemüht, die
eigenen Reihen zu schließen. Dass ihnen morgen in der Länderkammer
Abtrünnige aus der Opposition aus der Klemme helfen, ist
unwahrscheinlich. Daran dürfte auch der versprochene Geldsegen für
die Kommunen nichts ändern. Auf der Strecke bleiben in diesem
beschämenden Schwarzer-Peter-Spiel die Schwächsten unserer
Gesellschaft – fast fünf Millionen Erwachsene und mehr als zwei
Millionen Kinder, die von Hartz IV leben und wohl noch lange nicht
mit einer Verbesserung ihrer Lebenssituation rechnen dürfen.
Verlierer sind aber auch die Parteien selbst, denn sie fördern einmal
mehr die Politikverdrossenheit. Der kleine Mann auf der Straße
versteht nicht, warum großzügig und über Parteigrenzen hinweg
Milliarden-Rettungsschirme für Banken gespannt werden, gleichzeitig
wichtige sozialpolitische Entscheidungen aber am Streit um fünf oder
elf Euro höhere Regelleistungen scheitern. Die Aussichten sind
düster, denn vor den Landtagswahlen werden Regierung und Opposition
kein Interesse an einem Kompromiss haben. Für die Sozialgerichte
bedeutet dies, dass sie von einer neuen Klagewelle gegen
Hartz-IV-Bescheide überrollt werden. Und Deutschland droht mal wieder
ein Reformstau.

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