FT: Ungeschminkte Wahrheit – Was die Schmähbriefe an SPD-Generalsekretärin Nahles über unsere Gesellschaft verraten: Kommentar von Anette Asmussen

Die ungeschminkte Wahrheit

von Anette Asmussen

Auf einem „Egotrip“ sei sie, absolut „karrieregeil“. Das steht in
Briefen, die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles zurzeit bekommt.
Denn: Sie hat sich nach der Geburt ihrer Tochter Ella nur zwei Monate
Auszeit gegönnt. Seither sitzt Nahles wieder am Schreibtisch und
überlässt Haus, Hof und Kind der Fürsorge ihres Gatten.

Empörend finden das die, die die Politikerin nun mit Schmähbriefen
überziehen. Als Mutter gehöre sie zum Baby. Man mag über diese
Angriffe lächeln, sie als rückwärtsgewandt bezeichnen oder in ihnen
nur die Ablehnung der Person Andrea Nahles– sehen.

Nichts von alledem wäre angemessen. Tatsächlich sind die Briefe
eine Warnung an unsere Gesellschaft,denn sie drücken ungeschminkt
aus, was niemand offen zu sagen bereit ist: Den Deutschen fehlt in
weiten Teilen das Verständnis für Mütter, die Karriere machen. „Ein
bisschen hinzuverdienen“, das ist in Ordnung. Da „hat man etwas
Eigenes“. Aber den Mann zuhause lassen, um selbstständig und
unabhängig die Brötchen zu verdienen? Da hört die Freundschaft auf.

Eine rein konservative Sichtweise ist das nicht.
Familienministerin Kristina Schröder (CDU) beweist es. Auch sie will
als junge Mutter im September ihren Dienst wieder antreten. Nein,das
Misstrauen gegenüber Karriere-Müttern ist in allen Parteien und
Gesellschaftsschichten zu finden – und ein ernst zu nehmendes
Problem: Solange einerseits Mütter aus Angst vor gesellschaftlicher
Ächtung auf beruflichen Aufstieg verzichten und die Gesellschaft
ihnen andererseits nicht mit Betreuungsangeboten und Toleranz
entgegenkommt, brauchen wir über Frauenquoten in Führungsetagen nicht
zu reden. Dann verzichtet Deutschland freiwillig auf Tausende
Fachkräfte, die das Land immer dringender braucht.

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Anette Asmussen
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