Grenzwertüberschreitungen bei Feinstaub: Ende der Schonzeit

EU-Grenzwerte zur Luftreinhaltung müssen ab Samstag
(11. Juni) nach EU-Recht endgültig eingehalten werden – Deutschland
und andere Mitgliedstaaten überschreiten die Grenzwerte regelmäßig
und gefährden die Gesundheit ihrer Bürgerinnen und Bürger –
Verbändeallianz aus BUND, DUH, NABU und VCD fordert Eindämmung von
Dieselemissionen für Klimaschutz und Luftreinhaltung – Deutsche
Umwelthilfe bereitet neue Klagen gegen Kommunen mit
Grenzwertüberschreitungen und ohne Umweltzone vor – Wiesbaden macht
voraussichtlich den Anfang

Im Grundsatz besteht seit Jahren Einigkeit: Die Belastung unserer
Ballungsräume mit Feinstaub (PM 10) und Stickstoffdioxid (NO2) ist
das mit Abstand schwerwiegendste Luftreinhalteproblem in Deutschland
und anderen EU-Mitgliedstaaten. Nun macht die EU-Kommission ernst. An
diesem Freitag endet für PM 10 die Schonzeit, in der Brüssel trotz
regelmäßiger Grenzwertüberschreitungen auf Sanktionen verzichtete,
sofern die Mitgliedstaaten – bzw. die betroffenen Kommunen –
bestimmte Anstrengungen zur Absenkung der überhöhten
Schadstoffbelastungen vorweisen konnten. Wegen der Verfehlung der
Luftqualitätsanforderungen auch in vielen deutschen Ballungszentren
und der nun aus Richtung EU drohenden empfindlichen Strafzahlungen
fordern der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der Naturschutzbund NABU,
der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und die
Deutsche Umwelthilfe (DUH) entschlossenes Handeln der
Verantwortlichen auf allen politischen Ebenen.

„Mehr als sechs Jahre nach Einführung der
EU-Luftreinhalterichtlinie wird diese zum 11. Juni endlich
–scharfgestellt–. Noch für dieses Jahr ist mit den ersten
Strafzahlungen zu rechnen. Wenn nicht kurzfristig die von
Grenzwertüberschreitungen betroffenen Umweltzonen diese auf „grün“
scharfstellen werden wir dies vor Gericht in Parallelverfahren
durchsetzen“, sagte DUH-Bundesge-schäftsführer Jürgen Resch. Die
Deutsche Umwelthilfe werde systematisch juristisch gegen Städte und
Bundesländer vorgehen, die ihren Bürgerinnen und Bürgern das Recht
auf saubere Luft vorenthalten.

Die Verbände sehen in konsequent ausgestalteten Umweltzonen das
derzeit wirksamste Instrument zur Eindämmung der
Grenzwertüberschreitungen. Deren Einhaltung müsse endlich auch vor
Ort durchgesetzt werden. Städte oder Ballungsräume, in denen keine
wirksamen Mittel gegen die gefährlichen Luftschadstoffe ergriffen
worden seien, obwohl regelmäßig überhöhte Schadstoffbelastungen
gemessen werden, müssten endlich reagieren, Umweltzonen einrichten
oder verschärfen und die Einhaltung von Fahrverboten konsequent
kontrollieren. Resch forderte, noch in diesem Jahr alle Umweltzonen
einheitlich auf „grün“ scharfzustellen. Nur so könne das Potenzial
der Umweltzonen zur Verbesserung der Luft in den Städten ausgeschöpft
werden.

Insbesondere in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sehen
die Verbände noch substanzielle Verbesserungsmöglichkeiten bei der
Luftbelastung und hoffen auf neuen Schwung durch die im vergangenen
und diesem Jahr neu ins Amt gekommenen Landesregierungen. „Drei der
Fünf Messstellen mit den höchsten Feinstaubwerten liegen in
Baden-Württemberg, Spitzenreiter ist dabei Stuttgart. Interessant ist
auch Duisburg auf Platz fünf. Hier hoffen wir sehr, dass Bewegung in
die Diskussion um eine Umweltzone Ruhrgebiet kommt“, erklärte Dr.
Werner Reh, der Leiter Verkehrspolitik beim BUND. Es könne nicht
sein, dass sich das Ruhrgebiet im vergangenen Jahr als
„Kulturhauptstadt Europas“ habe feiern lassen und Hamburg aktuell
sogar als „Europäische Umwelthauptstadt“ auftrete, und gleichzeitig
beide Regionen wegen schlechter Luft empfindlichen Strafen von der EU
entgegensähen. Reh: „In den Städten und Regionen gibt es immer noch
zu wenig Aktivität und Zusammenarbeit für eine konsequente Reduktion
der Luftbelastungen – zum Beispiel durch städteübergreifende
regionale Umweltzonen.“ Auch im europäischen Vergleich seien die
deutschen Städte insgesamt keine Vorreiter. Nur Berlin könne mit
seinen Maßnahmen zur Rußminderung einen Spitzenplatz im Konzert
europäischer Städte beanspruchen.

Städte und Kommunen haben ein ganzes Bündel an
Handlungsmöglichkeiten, um die Werte von Dieselruß und
Stickstoffdioxid zu senken und damit die Luft für ihre Bürgerinnen
und Bürger sauberer und gesünder zu machen, erklärte Heiko Balsmeyer
vom ökologisch orientierten Verkehrsclub Deutschland VCD. „Im
Verkehrsbereich heißt das vor allem, den Umweltverbund zu fördern,
den Öffentlichen Personennahverkehr auszubauen und attraktiv zu
gestalten und den nichtmotorisierten Verkehr, das Rad fahren und zu
Fuß gehen, zu fördern.“

Die EU-Kommission müsse ihren Ankündigungen zur Durchsetzung der
Grenzwerte nun auch Taten folgen lassen, sagte Dietmar Oeliger, der
Verkehrsexperte des NABU. Das sei umso wichtiger als von Dieselruß
neben der Gesundheitsbelastung vor Ort auch eine Bedrohung für das
globale Klima ausgehe. Oeliger: „Dieselruß aus ungefilterten Lkw,
Baumaschinen oder Schiffen gefährdet die Gesundheit und führt zu
erhöhtem Krebsrisiko.“ Dies sei lange bekannt und schon alleine Grund
genug für Sanktionen seitens der EU. „Die schwarzen Rußpartikel
tragen jedoch darüber hinaus auch massiv zum Klimawandel bei,
insbesondere in sensiblen Regionen wie der Arktis.“ Bis zu 50 Prozent
der Erwärmung über den Eisflächen werde von Wissenschaftlern auf die
dunklen Partikel zurückgeführt, die unter anderem in Europa emittiert
und mit den Winden bis zum Nordpol transportiert würden, erläuterte
Oeliger.

Sollte sich die Belastungssituation in den Städten nicht spürbar
verringern, stehe Deutschland vor einer neuen Klagewelle zur
gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs auf saubere Luft, erklärte
Rechtsanwalt Dr. Remo Klinger, der mit der DUH das „Recht auf saubere
Luft“ für Privat- und juristische Personen bereits 2008 vor dem
Europäischen Gerichtshof erstritten hatte. Den Auftakt mache
Wiesbaden, wo Klinger am gestrigen Mittwoch namens einer Tagesmutter,
die in der hessischen Landeshauptstadt an einer hoch belasteten
Straßenkreuzung lebt und arbeitet, wirksame Maßnahmen zur
Belastungsminderung einforderte. Die DUH beantragt nun verschärfte
Luftreinhaltemaßnahmen, insbesondere die Einrichtung einer
Umweltzone. Sollte die Stadt dem Antrag nicht folgen, werde man nach
Ablauf eines Monats zu Gericht gehen. Klinger: „Es ist erschreckend,
dass in vielen deutschen Städten die Mindestanforderungen an saubere
Luft nicht eingehalten werden. Wir werden dieses Bürgerrecht nun Fall
für Fall und Stadt für Stadt einklagen. Wir beginnen in Wiesbaden, wo
das schwarz-gelbe Umweltministerium seit Jahren versagt.“

Als Mittel zum Gesundheitsschutz trat zum 1. Januar 2005 EU-weit
der Tagesgrenzwert für Feinstaub (PM10) in Kraft. Er beträgt seither
50 µg/m3. Dieser Wert darf nach den EU-Regelungen nicht öfter als
35-mal pro Jahr überschritten werden. Die Artikel 22 und 23 der
Richtlinie 2008/50/EG hatten den Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit
eingeräumt, die für die Einhaltung der Luftqualitätsgrenzwerte für
Stickstoffdioxid (NO2), Feinstaub (PM 10) und Benzol festgesetzten
Fristen zu verlängern, jedoch nur, sofern die Mitgliedstaaten strenge
Maßnahmen zur Einhaltung der Grenzwerte nachweisen können. Von dieser
Möglichkeit hatten auch zahlreiche Städte in Deutschland Gebrauch
gemacht. Allerdings wurden nicht alle Anträge akzeptiert.
Entsprechend hatte die Kommission bereits Anfang 2009
Vertragsverletzungsverfahren gegen zehn Mitgliedstaaten verschickt,
die keine Fristverlängerung für sich in Anspruch nehmen konnten und
die Werte dennoch überschritten. Unter diesen war auch Deutschland.
Für PM 10 läuft die Frist am 10. Juni 2011 aus. Dennoch zählen auch
die Städte, für die eine Fristverlängerung bewilligt wurde, zu den
Spitzenreitern bei der Überschreitung der Grenzwerte, aktuell zum
Beispiel Reutlingen mit 51 Tagen (bis 26.04.2011) und Tübingen mit 48
Tagen (bis 26.04.2011).

Pressekontakt:
Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer Deutsche Umwelthilfe e.V.,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin, Tel.: 030 2400867-0, Mobil: 0171
3649170, resch@duh.de

Dr. Remo Klinger, Rechtsanwaltskanzlei Geulen & Klinger,
Schaperstraße 15, 10719 Berlin, Tel. 030 88472-80, 0171 2435458,
klinger@geulen.com

Dietmar Oeliger, Leiter Verkehrspolitik, NABU, Charitéstraße 3, 10117
Berlin, Mobil: 0172 9201823, Tel.: 030 2849841613, Fax: 030
2849842600, Dietmar.Oeliger@NABU.de

Heiko Balsmeyer, Projektleiter Kampagne „Rußfrei fürs Klima“,
Verkehrsclub Deutschland e.V., Rudi-Dutschke-Str. 9, Mobil 0160
7987916, Tel.: 030 280351-22, heiko.balsmeyer@vcd.org

Dr. Werner Reh, BUND e.V., Leiter Verkehrspolitik Am Köllnischen Park
1, 10179 Berlin, Mobil: 0171 4997927, Tel.: 030 27586435,
werner.reh@bund.net

Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik Deutsche Umwelthilfe e.V.,
Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: 0302400867-0, Mobil: 0171
5660577, Fax: 030 2400867-19, E-Mail: rosenkranz@duh.de