Ein Kommentar von Jochen Gaugele
Wer seinen Parteitag vor einer Landtagswahl auf einen Gedenktag
legt, tut dies mit Bedacht. Die Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern
hat sich für diesen Sonnabend entschieden, den 13. August. Schon mit
der Terminwahl stellt sie den Bau der Berliner Mauer zur Diskussion –
und macht ihn zum Gegenstand ihres Wahlkampfs. Die SED-Nachfolger
begnügen sich aber nicht mit Symbolik. Drei Wochen vor der Wahl und
50 Jahre nach dem Mauerbau wollen sie das Für und Wider des
DDR-Grenz?regimes erörtern. Die Führung der Linkspartei lässt es zu,
dass sogenannte Antikapitalisten in ihren Reihen ein Papier
verfassen, das die Opfer verhöhnt. Sie verwenden Formulierungen, mit
denen schon die SED die Abriegelung der DDR rechtfertigte. Das Papier
gipfelt in der obszönen These, der Mauerbau sei „ohne vernünftige
Alternative“ gewesen. Mangelnde Bereitschaft bei der Linken, sich
verantwortungsvoll der eigenen Geschichte zu nähern, behindert das
Zusammenwachsen von Ost und West. Innere Einheit kann nur gedeihen,
wenn Aufklärung an die Stelle von Verklärung tritt. Auch Parteichefin
Lötzsch trägt zur Vernebelung bei. Mal kritisiert sie den Mauerbau
als unsozialistisch, mal nennt sie ihn eine logische Folge des
Zweiten Weltkriegs. Und setzt Kommunismus mit der Sehnsucht nach
Gerechtigkeit gleich. Umfragen fördern verstörende Unwissenheit über
den Unrechtsstaat DDR zutage. Es kommt heraus, dass 35 Prozent der
Deutschen den Mauerbau zumindest teilweise für richtig halten. Und es
wird erhoben, dass jeder vierte Bürger in unserer freiheitlichen
Gesellschaft die Mauer zurückhaben möchte. Auch wenn sich nicht in
jeder Umfrage gesellschaftliche Wirklichkeit spiegelt, lässt sich die
Größe der Aufgabe erahnen. Es geht zum einen um die Verstetigung der
Aufklärung jenseits von Gedenktagen. Hier sind unsere Schulen
gefordert. Sie müssen Sorge tragen, dass die Natur des Regimes – das
Spitzelsystem der Staatssicherheit, der Schießbefehl an der Grenze –
zum Allgemeinwissen wird. Zum anderen geht es um die
Auseinandersetzung mit denen, die DDR-Unrecht verharmlosen – und
damit auf Stimmenfang gehen. Hier sind die demokratischen Parteien
gefragt. Einen Versuch unternahm die CSU, deren Generalsekretär ein
Verbot der Linkspartei ins Gespräch brachte. Wer allerdings sieht,
wie hoch die verfassungsrechtlichen Hürden sind und wie schwer sich
die Union selbst bei der rechtsextremistischen NPD mit einem neuen
Verbotsverfahren tut, wird diesen Vorstoß im günstigen Fall als
Effekthascherei verbuchen. Sinnvoll wiederum könnte sein, die Linke
in weiteren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen.
Das Papier aus Mecklenburg-Vorpommern zum Wert der Mauer, das sich
von demokratischen Grundsätzen entfernt, kann als Aufforderung dazu
gelesen werden. Entscheidend wird sein, wie andere Parteien die
Regierungsfähigkeit der Linkspartei bewerten. Hier ist vor allem die
SPD gefordert. Die Spitze um Gabriel muss klarer als bisher sagen,
dass eine Partei, die nicht in allen Gliederungen auf dem Boden der
Verfassungsordnung steht, nach der Bundestagswahl kein Partner sein
kann. Es ist ungewiss, ob es Monate nach Fukushima und der Eskalation
bei Stuttgart 21 immer noch für Rot-Grün reicht. Auf eine solche
Linke jedenfalls dürfen sich die Sozialdemokraten nicht stützen. Ein
Testfall wird die Wahl in Mecklenburg-Vorpommern sein.
Ministerpräsident Sellering, der mit seiner SPD auf einen Erfolg
zusteuert, will sich einen Wechsel von der CDU zur Linken
offenhalten. Nach einer Mauerkontroverse am 50. Gedenktag sollte die
Koalitionsfrage allerdings entschieden sein.
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