HAMBURGER ABENDBLATT: Inlandspresse, Hamburger Abendblatt zu Koalition/Regierung/Steuerpolitik

Vom früheren russischen Ministerpräsidenten Wiktor
Tschernomyrdin ist das Bonmot „Diesmal wollten wir es besser machen –
aber es wurde wie immer“ überliefert. Das könnte auch das Motto der
schwarz-gelben Koalitionäre in Berlin sein. Der sommerlichen
Erkenntnis, dass das Hinausschieben aller möglicherweise unpopulären
Entscheidungen bis nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen im
vergangenen Jahr ein schwerer Fehler war, sollten ein Herbst der
Entscheidungen und ein fulminanter Start ins neue Jahr folgen. Die
Realität sieht etwas anders aus. 2011 begann mit einer Mischung aus
partieller Lähmung und teils bizarrer Streiterei. Etwa um die
sogenannten Steuervereinfachungen, die sich unterm Strich auf eine
Erhöhung eines Pauschalbetrages reduzierte, die weder das deutsche
Steuerrecht einfacher macht noch die Bürger spürbar entlastet. Die
derzeitige Aufgabenliste der Regierenden ist noch viel länger und
reicht von Vorratsdatenspeicherung, Internet-Sperren,
Afghanistan-Abzug, Hartz IV, Euro-Rettung bis hin zur Zuwanderung und
dem Fachkräftemangel. Sie ließe sich in der Perspektive noch um die
Dauerbaustellen Gesundheits- und Steuerreform erweitern. Angeblich
ist noch nichts entscheidungsreif. Tatsächlich gibt es in diesem Jahr
aber sechs Landtagswahlen, darunter für die Koalitionäre so wichtige
wie die in Baden-Württemberg am 27. März. Vielleicht regiert es sich
danach etwas flotter. Bis mindestens dahin aber gedenkt man im
Kanzleramt und in den bürgerlichen Parteizentralen anscheinend von
guten Wirtschaftsdaten und den Kalamitäten der anderen leben zu
wollen. Immerhin, wenigstens das hat der Koalitionsausschuss jetzt
beschlossen, soll es einschneidende Neuerungen auf der
Kommunikationsebene geben – für das Verkaufen von Politik nicht ganz
unwesentlich. Kanzleramtschef Pofalla wird nun ganz genau
mitschreiben, was die Partei- und Fraktionschefs im Kanzleramt
besprechen. Damit sollen neuer Streit und verschiedene
Interpretationen nicht gefallener Entscheidungen vermieden werden.
Statt kraftvoll regieren heißt es nun wohl erst einmal gründlich
redigieren.

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