Der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Nölling,
ehemaliger Hamburger Finanzsenator, Ex-Landesbank-Nord-Chef schreibt
in einem Autorenbeitrag im Hamburger Abendblatt: Die in Hamburg 2007
eingeführten Studiengebühren sollen wieder abgeschafft werden. So
wollen es die im Rathaus regierenden Sozialdemokraten. Verbleibt noch
Zeit zum Nachdenken, ob wirklich alle Argumente dafür und dagegen
sorgfältig abgewogen wurden? Im Zuge der Vorbereitung auf die
Währungsunion ist in Deutschland der Anteil der öffentlichen
Investitionen am Sozialprodukt – um die Staatsverschuldung zu
reduzieren – etwa halbiert worden (von rund drei Prozent auf rund
anderthalb Prozent). Darunter haben die Investitionen in die
Hochschulen maßgeblich gelitten, Ausbau und Modernisierung wurden
stark vernachlässigt. Unsere Hochschulen bleiben besorgniserregend
„unterfinanziert“. Gegenwärtig werden in Hamburg, Bayern,
Baden-Württemberg und Niedersachsen Studiengebühren erhoben. In
Hessen, im Saarland und in Nordrhein-Westfalen sind sie bereits
beseitigt. Insgesamt erzielten die Länder durch Studiengebühren mehr
als 870 Millionen Euro (2008), die sie zur Verbesserung der
Studienbedingungen eingesetzt haben. Es geht also nicht um „kleine
Fische“, und die Gefahr ist groß, dass bei einer Streichung der
Gebühren die Staatsschulden weiter steigen oder anderswo gekürzt
werden muss. Wo Studiengebühren erhoben werden, tragen sie zwischen
3,5 und etwa sieben Prozent zu den Kosten bei, die für jeden
Studierenden im Schnitt bei 7300 Euro jährlich an „Grundmitteln“
betragen. Dabei muss beachtet werden, dass sich die soziale
Schichtung der Studierenden außerordentlich stark zugunsten der
gesellschaftlich „oberen“ Klassen verschoben hat: Die Statistik zeigt
unter der Rubrik Herkunftsgruppe „hoch“ eine Anteilzunahme von 17
Prozent auf 38 Prozent (1988 bis 2006), während in der Gruppe
„niedrig“ der Anteil von 23 auf 18 Prozent sank. Der Anteil der
BAföG-Bezieher hat sich von 33 Prozent Anfang der 90er-Jahre auf 25
Prozent stark verringert – auch ohne Studiengebühren! Die
Benachteiligung im Kampf um Chancengleichheit ist daran gut
abzulesen. Wird sich daran etwas ändern, wenn Hamburg die
Studiengebühren, die 34 Millionen Euro jährlich erbringen, abschafft?
Ich rufe ins Gedächtnis, dass ein kostenfreies Studium für jene,
deren Vermögenshintergrund die Zahlung der Gebühren problemlos
ermöglicht, weit mehr als die Hälfte aller Studierenden begünstigt,
was aber die Interessenvertreter der Arbeitnehmerschaft unbeeindruckt
lässt. Die Grünen, als Klientelpartei ihrer meist oberen
Wählerschichten, haben sich angehängt und freuen sich, dass auch ihre
Kinder auf Kosten der Allgemeinheit, auch aller steuerzahlenden
Arbeitnehmer, studieren können. Die Erfahrungen in Hamburg zeigen,
dass die Hälfte aller Zahlungspflichtigen die „nachgelagerte“ Zahlung
der Gebühren nicht in Anspruch nimmt, sie zahlen also anstandslos zu
Beginn des Semesters. Um den studierwilligen und -fähigen Nachwuchs
von Arbeitnehmern mit Studiengebühren nicht zu bedrücken, lassen es
meine Partei und die Gewerkschaften zu, dass die Kinder der
„glücklichen Besitzenden“ von einer Beteiligung an den öffentlichen
Investitionen in ihre private bessere Zukunft befreit werden. Diese
„Lösung“ widerspricht allen Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit.
Gibt es vernünftige Auswege? Das Hamburger Modell bedeutet, dass ein
Studierender nach zehn Semestern eine „Zukunftsbelastung“ von 3750
Euro nur zurückzahlen muss, wenn er nach dem Studium dazu in der Lage
ist. Das Modell ließe sich durch Abstufungen je nach BAföG-Höhe und
Herabsetzung einer Kappungsgrenze für die Gesamtverschuldung eines
Studierenden aus sozialen Gründen in akzeptabler Weise verbessern.
Jeder sollte sich im Klaren sein, dass mit der Abschaffung der
Studiengebühren eine maßvolle Mitfinanzierung durch die Begünstigten
verhindert wird und die Heranziehung von Hunderttausenden
Studierenden unterbleibt, die sich, wenn sie ehrlich sind, nicht
genug wundern können, dass ihre Interessen von der SPD so wunderschön
mitvertreten werden. Als ob es nicht genug Fantasie und Möglichkeiten
gäbe, einen Kompromiss zu finden. Wo Studiengebühren effizient
verwendet werden, haben sich die Studienbedingungen spürbar
verbessert und zur Attraktivität des Studiums beigetragen. Die SPD
sollte sich an Karl Marx erinnern: „Wenn auch höhere
Unterrichtsanstalten unentgeltlich sind, so heißt das faktisch nur,
den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen
Steuersäckel zu bestreiten.“ Ein Zitat aus dem Jahre 1875.
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