An der Wand
CORDULA VON WYSOCKI¶ zum Ende der Jamaika-Gespräche¶
Es wird eng für Angela Merkel. Seit Sonntagnacht, 23.49 Uhr, steht
die mächtigste Frau der Welt mit dem Rücken an der Wand. Nach dem
niederschmetternden Ergebnis der Bundestagswahl, der schlagartigen
SPD-Absage an eine große Koalition noch am Wahlabend und jetzt dem
Aus für Jamaika, hat sie kaum noch eine Option, ein Regierungsbündnis
zu gestalten.
Darüber, wie unser Land künftig geführt wird, entscheiden nach
zwölfjähriger Kanzlerschaft von Angela Merkel nun vor allem andere.
Es liegt in der Hand des Bundespräsidenten, den Weg zu einer neuen
Regierung zu bereiten. Frank-Walter Steinmeier trat gestern wohltuend
entschlossen auf: „Den Auftrag zur Regierungsbildung kann man nicht
einfach an die Wähler zurückgeben.“ Ohne dass er es aussprach, wird
er alles tun, um Neuwahlen zu vermeiden. Der Bundespräsident kündigte
Gespräche mit den Parteivorsitzenden an, und er wird die SPD nicht
auslassen.
Ob sein Appell an die Genossen letztlich noch etwas bewegen kann,
ist allerdings fraglich. Denn die SPD machte gestern kurzen Prozess
und verkündete vorsichtshalber schon einmal eine halbe Stunde, bevor
der Bundespräsident an die Öffentlichkeit ging: Für eine Neuauflage
der großen Koalition stehen wir nicht zur Verfügung. Warum sich die
Sozialdemokraten mit dieser übereilten Absage erneut verweigern, ist
nicht nachvollziehbar. Denn so ganz unbesorgt, wie sie tut, kann auch
die SPD nicht in Neuwahlen gehen.
Die Partei beginnt gerade mit einem Erneuerungsprozess und würde
nun vorschnell entscheiden müssen, ob sie Martin Schulz noch einmal
als Spitzenkandidat ins Rennen schickt oder nicht. Und dass die
Wähler die GroKo-Verweigerung nicht unbedingt als prinzipientreu
goutieren, sondern als unverantwortlich empfinden könnten, darüber
scheint sich die SPD nicht den Kopf zu zerbrechen. Stoisch behauptet
sie, nicht regieren zu wollen, weil die große Koalition abgewählt
worden sei. Möglicherweise geht das Konzept der Sozialdemokraten auf,
Angela Merkel auf diese Weise aus der Regierung zu drängen, aber um
den Preis, ein von der Verfassung nur als letzter Ausweg vorgesehenes
Neuwahlverfahren zu erzwingen – auf Kosten aller.
Die Jamaika-Sondierer wiederum waren nach dem nächtlichen Ausstieg
der FDP so beschäftigt damit, den Schwarzen Peter hin- und
herzuschieben, dass auch dort der Appell des Bundespräsidenten kaum
durchdrang. Wer nun letztlich schuld war am Scheitern (vermutlich
hatte jede Partei ihren Anteil), ist aber vielleicht gar nicht die
entscheidende Frage. Sondern: Gab es überhaupt eine ernsthafte
Chance?
Dass FDP-Chef Lindner den Chor „Jamaika nicht um jeden Preis“
schon vorher anstimmte und dann im Vierer-Gesang die lauteste Stimme
hatte, war schon ein ungutes Zeichen. Die Liberalen machten keinen
Hehl daraus, dass sie eigentlich keine Lust auf Regierung, also auch
nichts zu verlieren haben.
Auch der CSU war anzumerken, dass sie gebremst von der Sorge, vor
der Bayern-Wahl wichtige Positionen aufgeben zu müssen, nur
halbherzig in die Sondierungsrunde startete.
Und Angela Merkel? Hat sie als Moderatorin der Jamaika-Sondierung
eine ernsthafte Chance gegeben? Zu schnell, und das wird von
Teilnehmern wie etwa dem Grünen Robert Habeck durchaus selbstkritisch
angemerkt, habe man sich in Kleinteiligkeit verzettelt, in
unübersichtlich großen Runden diskutiert, anstatt kleinere Gruppen zu
bilden. Angela Merkel hat es offenbar nicht geschafft, eine
gemeinsame Grundlage für ein schwarz-gelb-grünes Bündnis zu
vermitteln. Das wird ihr anhaften.
Doch die Komplexität der Aufgabe, der hohe Preis zahlreicher
Zugeständnisse und das drohende Scheitern – all das war nach der Wahl
vom 24. September alternativlos. Schon da war klar, dass es für
Merkel eng wird.
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