Lausitzer Rundschau: Der Hase will nicht stillstehen Wie Christian Wulff durch sein Verhalten selbst die Affäre befeuert

Jeder Skandal hat seine eigene Choreografie.
Manchmal geht es schnell mit dem Rücktritt, wie bei
Schleswig-Holsteins CDU-Chef Christian von Boetticher, der nach
Bekanntwerden seiner „Lolita-Affäre“ Mitte August noch am gleichen
Tag hinschmiss. Manchmal dauert es etwas länger. Karl-Theodor zu
Guttenberg brauchte zwei Wochen, ehe aus „abstrusen Vorwürfen“ gegen
seine Dissertation die Rückgabe des Doktortitels und das Ausscheiden
aus allen Ämtern geworden war. Christian Wulffs Demission befindet
sich nach drei Wochen kurz vor der Vollendung. Bei Guttenberg wie
Wulff kann man in geradezu klassischer Weise sehen, wie sich eine
Affäre entwickelt, wenn der Betreffende sich falsch verhält.
Insbesondere wenn er seine Verstöße nur scheibchenweise zugibt. Dann
wächst der Skandal zwar etwas langsamer, dafür aber unaufhörlich –
und in die Tiefe. Dann bekommt die Affäre ein neues Thema: Nicht den
Sachverhalt von früher bringt den Politiker zu Fall, sondern die Lüge
jetzt. Es gibt dagegen nur eine erfolgversprechende Strategie: Das
frühzeitige und schnörkellose Bekenntnis zu den Verfehlungen, samt
einer glaubhaften Entschuldigung. Ein Windhundrennen hört auf, sobald
der Köder nicht mehr gezogen wird. Christina Wulff hatte mehrere
Zeitfenster, um das Rennen zu beenden. Das erste war der
18.Februar 2010, als er seine Staatskanzlei im
niedersächsischen Landtag eine Anfrage der Grünen nach etwaigen
Geschäftsbeziehungen zu Unternehmer Egon Geerkens verneinen ließ.
Zweifellos brütete Wulff mit seinen engen Mitarbeitern, allen voran
Sprecher Olaf Glaeseker, vorher über der Antwort. Entweder Wulff
verschwieg dabei intern den richtigen Sachverhalt, dann konnte ihn
natürlich niemand anders beraten. Oder aber, wahrscheinlicher, man
entschloss sich gemeinsam zur Notlüge, die formal keine war, weil ja
nur nach dem Unternehmer Geerkens und nicht nach der Frau gefragt
worden war. Dann war das ein schwerer Beratungsfehler. Denn damals
wäre Wulff noch mit ein paar Imagekratzern davon gekommen. Das zweite
Zeitfenster ergab sich, als ein Jahr später mehrere Medien nach der
Finanzierung seines Hauses recherchierten und Wulff eine
Berichterstattung zunächst mit gerichtlichen Mitteln zu verhindern
suchte. Auch als Bundespräsident hätte er da noch sagen könne:
Jawohl, ich habe als Ministerpräsident damals einen Privatkredit von
Frau Geerkens erhalten und den Landtag nicht korrekt informiert. Ich
bedauere das, ich habe das inzwischen korrigiert. Es wäre eng
geworden, aber womöglich hätte die Öffentlichkeit das geschluckt.
Stattdessen beharrte sein Sprecher Glaeseker zunächst darauf, dass
die Antwort vor dem Landtag formal korrekt gewesen sei. Wie man heute
weiß im Einvernehmen mit Wulff, der gleichzeitig sogar selbst zum
Hörer griff, um die „Bild“-Redaktion einzuschüchtern. Was schon
deshalb nicht geheim bleiben konnte, weil er auf einen
Anrufbeantworter sprach. Wulffs Umgang mit der Affäre ist unfassbar
dumm, noch dümmer als der zu Guttenbergs. Den CSU-Nachwuchsstar hätte
eine andere Reaktion freilich kaum gerettet: Mit einer gefälschten
Doktorarbeit war er nun einmal nicht mehr ministrabel. Allerdings
hätte Guttenberg bei einem anderen Abgang bessere Rückkehrchancen
gehabt. Wulff wiederum macht aus einem eher noch tolerierbaren
Fehlverhalten aus früheren Zeiten durch seine Reaktion erst eine
Großaffäre. Nun geht es um etwas ganz anderes: Um seine
charakterliche Eignung für das Amt.

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