Wer immer die Vorratsdatenspeicherung leichthin
ablehnt – er muss als Politiker, letztlich auch als Bürger, noch
guten Gewissens in den Spiegel schauen können, wenn er hört, dass ein
brutaler Terroranschlag mit ihr hätte verhindert werden können. Oder
der Missbrauch von Kindern. Aber wer sie leichthin befürwortet, muss
ebenso noch ein gutes Gewissen haben, wenn Daten missbraucht werden
von Telekommunikationsunternehmen oder vom Staat, und wenn die Bürger
sich massenhaft ausgespäht fühlen. Was das rechte Maß ist in dieser
Frage, ergibt sich wahrscheinlich erst im Nachhinein. War der Staat
zu lax gegenüber jenen, die Gesetze brechen wollen, dann weiß man,
dass man falsch lag. Aber auch, wenn er zu hart war, und sich immer
mehr zum Polizeistaat entwickelt hat. Die Debatte um die
Vorratsdatenspeicherung begann mit der Terrorabwehr, ehe ihre
Befürworter einen Nutzen auch für die Bekämpfung anderer
Kriminalitätsarten erkannten. Terroristen können aber auf beiden
Wegen Erfolg haben: Dann, wenn sie mit Anschlägen Schrecken
verbreiten. Und ebenso, wenn sie die Sicherheitsorgane zu überzogenen
Maßnahmen gegen unbescholtene Bürger, letztlich gegen den
freiheitlichen Lebensstil verleiten. Da die Politik aber im Voraus
entscheiden muss, braucht sie Maßstäbe. Ein solcher kann jetzt nur
sein: Im Zweifel für den Rechtsstaat, für die Liberalität, für den
Datenschutz, für die Bürgerrechte. Wenn die Lage später einmal anders
sein sollte, mag das anders gewichtet werden, aber aus heutiger Sicht
ist der von der Justizministerin präsentierte Vorschlag einer
verdachtsabhängigen, also strikt anlassbezogenen Datenerhebung und
-sichtung absolut angemessen. Noch sind wir nicht im inneren Krieg,
also brauchen wir auch keinen heimlichen inneren Kriegszustand. Noch
haben wir die Bedrohung so im Griff, dass wir uns unseren
freiheitlichen Rechtsstaat leisten können, bei dem es ohne Verdacht
keine Ermittlung und Strafverfolgung gibt. Also auch keine
Überwachung. Bei der Vorratsdatenspeicherung herkömmlicher Machart
wurden alle Bürger indirekt unter Tatverdacht gestellt indem ihre
Daten erst einmal gebunkert wurden. Praktisch wurde dadurch ein Teil
ihrer Privatsphäre aufgehoben – für alle, die Zugang zu den
Datensätzen hatten oder sich verschafften. Für eine so weitreichende
Regelung gibt es nicht den geringsten Grund. Das Verfassungsgericht
hat das erst 2010 in seltener Klarheit formuliert. Es überrascht mit
welcher Chuzpe die Innenpolitiker der Union, teilweise auch der SPD,
sich schon wieder darüber hinwegsetzen wollen. Ihre Absichten in
Ehren, aber es ist betriebsblind, nach diesem Urteil immer noch der
alten Vorratsdatenspeicherung praktisch unverändert das Wort zu
reden. Im Übrigen ist es wahrscheinlich auch nicht klug. Der letzte
Staat, der sich eine solche Datenvollmacht über seine Bürger anmaßte,
war die DDR, und er ist darin regelrecht ersoffen.
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