Angesichts des langen Tauziehens um die
Hartz-IV-Reform muss man sich über Politikverdrossenheit nicht
wundern. So gesehen ist es schon ein Lichtblick, dass die politischen
Streithähne überhaupt zu einem Kompromiss gekommen sind. Also Ende
gut, alles gut, wie SPD-Verhandlungsführer Kurt Beck formuliert hat?
Die Betroffenen werden das anders sehen. Acht Euro mehr sind kein
Betrag, für den man einen Luftsprung machen müsste. Wer allerdings
nur die Regelsatzhöhe zum Maßstab aller Dinge nimmt, der hat das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts falsch verstanden. Den
Karlsruher Juristen ging es nicht um den Umfang der staatlichen
Alimentierung, sondern um die Art ihrer Berechnung. Hier hat die
Bundesregierung zweifellos nachgebessert. Und die SPD hat zugestimmt.
Also wird sie in Zukunft auch nicht so tun können, als habe sie
nichts damit zu tun. Was der Mensch für sein Existenzminimum
braucht, hängt immer auch vom gesellschaftlichen Umfeld ab. Nur ein
Beispiel: Vor ein paar Jahren hätte man es noch als exotische
Diskussion abgetan, ob Hartz-IV-Empfänger einen Internet-Zugang
brauchen oder nicht. Heute entscheiden moderne Kommunikationsmittel
auch über individuelle Bildungsteilhabe. Deshalb werden sie nun im
Regelsatz berücksichtigt. Ein Akt purer Willkür war die bisherige
Praxis, die jährliche Anpassung der Hartz-Transfers an die
Entwicklung der Renten zu koppeln. Renten beschreiben nicht das
Existenzminimum, Hartz IV aber wohl. Nun soll die Regelsatzhöhe einem
Mechanismus aus Preis- und Lohnentwicklung folgen.
Gesellschaftspolitisch betrachtet ist das nicht unproblematisch. Auf
diese Weise können die Regelsätze prozentual stärker steigen als die
Altersbezüge, die durch rechnerische Dämpfungsfaktoren in Zaum
gehalten werden, um die Beitragszahler nicht zu überlasten.
Langfristig droht damit aber die Untergrenze zwischen erarbeiteter
Rente und einer ohne Gegenleistung gewährten Grundsicherung im Alter
verwischt zu werden. Die wahren Gewinner des Kompromisses sind die
Kinder bedürftiger Eltern. Hier hatte Karlsruhe die meisten
Nachbesserungen eingefordert. Denn anstatt bei ihnen zum Beispiel die
Bildungskosten zu berücksichtigen, kam bislang nur ein geminderter
Erwachsenen-Regelsatz zur Anwendung. Das Bildungspaket ist dann auch
die größte Errungenschaft der politischen Abmachung. Ende gut, alles
gut? Das wird man erst mit Gewissheit sagen können, wenn Karlsruhe
über den Hartz-Kompromiss verhandelt hat. Kritiker laufen sich schon
für Klagen warm. Allen Irrungen und Wirrungen der letzten
Verhandlungswochen zum Trotz stehen die Chancen aber nicht schlecht,
dass Kurt Beck Recht behält.
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