Lausitzer Rundschau: Spiel ohne Sinn

Zum Scheitern der Hartz-IV-Gespräche

Fünf Euro mehr im Monat, ein Hortmittagessen,
Gutscheine für den Geigenunterricht – mit Verlaub, aber das sind
Fragen, die in der Bundespolitik normalerweise von Experten zwischen
Tür und Angel geklärt werden. Und wenn das nicht gelingt, dann reicht
ein Telefonat zwischen den Parteispitzen oder ein Vieraugengespräch
bei einem Glas Wein. Angela Merkel und Sigmar Gabriel haben dieses
Gespräch in Sachen Hartz-IV-Reform nicht geführt, nicht führen
wollen. Sie haben die Züge aufeinander zurasen lassen. Aus Kalkül.
Die Opposition wollte zum ersten Mal ihre Verhinderungsmehrheit im
Bundesrat austesten. Sie wollte Merkel und ihre schwache
schwarz-gelbe Regierung vorführen. Nebenbei auch wollten die
Oppositionsparteien mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen ihrer
Klientel, den Hartz-IV-Empfängern und Geringverdienern, deutlich
machen, dass sie sich unbedingt für sie einsetzen. Und die
Forderungen, ob Mindestlohn, gleiche Bezahlung bei der Zeitarbeit
oder mehr Sozialarbeiter in die Schulen, sind ja richtig. Merkel hat
diese Blockade geschehen lassen. Erstens, weil sie kaum anders
konnte, ohne das Gesicht zu verlieren, denn die Opposition belohnte
jedes ihrer Entgegenkommen mit zusätzlichen Bedingungen. Zweitens
weil sie sich ausrechnete, dass es, ebenfalls mit Blick auf die
Landtagswahlen, bei ihrer Klientel, den bürgerlichen Schichten, gar
nicht schlecht ankommt, wenn man zeigt, dass der Sozialstaat nicht
unbegrenzt gefüttert wird. Mies an dem Spiel ist, dass es in den
Augen der Betroffenen eben nicht um Peanuts geht. Für
Hartz-IV-Empfänger sind fünf Euro mehr, das Hortmittagessen oder die
Bildungsgutscheine sehr zentral. Es ist also ein Spiel auf dem Rücken
der Schwächsten. Mies ist auch, dass beide Seiten bei diesem Spiel
sehr kurzsichtig Chancen für eine große, langfristige Veränderung
vertun. Denn die mit der Reform geplante Einführung einer vom Bund
bezahlten Bildungsförderung für die sozial schwächsten Kinder wäre
eine wahre und höchst überfällige bildungspolitische Revolution
gewesen. Mies ist drittens und vor allem, dass mit diesem Spiel ein
Urteil des Bundesverfassungsgerichts de facto ignoriert wird. Nur:
Wenn der Staat sich nicht mehr an die Karlsruher Vorgaben hält, wer
soll es dann noch tun? Das ist ein Vorgang, der an die Substanz des
Landes geht. Vielleicht geht das miese Spiel schon am Freitag zu
Ende, falls im Bundesrat doch ein Land aus der Phalanx der Opposition
ausscheren sollte. Das wäre dann für Gabriel die härteste
Bauchlandung eines Oppositionsführers aller Zeiten. Falls das nicht
geschieht, könnte Merkel die Wirkung der Blockadepolitik aushebeln,
indem sie Wege findet, die fünf Euro mehr ohne neues Gesetz auszahlen
zu lassen. Wahrscheinlich ist beides jedoch nicht. Am
wahrscheinlichsten ist, dass erst nach den Landtagswahlen Ende März
wieder Vernunft einkehrt und dann ein neuer, diesmal konstruktiver
Anlauf zur Einigung unternommen wird. Dass eine der beiden Seiten
dann stärker sein wird als heute, das allerdings steht nicht zu
erwarten. Diese Nullnummer stärkt nur die Nichtwähler und die extreme
Linke. Es ist ein Spiel ohne Sinn und Verstand.

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