Mittelbayerische Zeitung: Auf dem Basar Der Streit um ESM und Fiskalpakt offenbart, dass die Politik ihren Zweck aus den Augen verloren hat. Von Christian Kucznierz

Wohltätig ist des Feuers Kraft, wenn sie der
Mensch bezähmt, bewacht“, heißt es bei Schiller. Schön wär–s, würde
das für die Schuldenkrise in der Euro-Zone noch gelten. Doch das
Feuer in Europa ist kaum noch unter Kontrolle zu bekommen. Es brennt
an allen Ecken und Enden. Eben noch dachte man, der Brandherd liege
allein in Griechenland. Seit dem Wochenende steigt aber nun Rauch
über Spanien auf. Und in Italien riecht es auch schon leicht
verbrannt. Alles rennet, rettet, flüchtet – und blickt auf den
Feuerwehrkommandanten Deutschland. Der aber ist indisponiert und hat
sich zur Beratung zurückgezogen. Keine schnelle Einigung im Streit
mit der Regierung: Das war gestern von SPD-Fraktionschef Frank-Walter
Steinmeier zu hören. Man könnte Verständnis für die Haltung der
Sozialdemokraten haben, ging es ihnen nicht auch nur um das eigene
Profil. Doch die Haltung der SPD ist nur ein Teil der Misere.
Vergangene Woche hatten sich Regierung und Opposition im Grundsatz
darauf geeinigt, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Damit
wäre die Forderung von SPD und Grünen erfüllt gewesen und der Weg
wäre frei für eine Einigung auf den permanenten Rettungsmechanismus
ESM und den Fiskalpakt. Beide Projekte kann die Bundesregierung nur
mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit durch Bundestag und Bundesrat
bringen. Doch weil die Regierung offenbar nicht plant, die
Finanzmarkt-Steuer in dieser Legislaturperiode einzuführen, fühlt
sich die SPD hinters Licht geführt – und schaltet auf stur. Oder
besser gesagt: Auf Wahlkampfmodus. Aus parteitaktischer Sicht ist das
völlig legitim. Ebenso wie bei den Grünen weiß man bei der SPD, dass
ohne beider Zustimmung nichts geht. Der Schlachtruf lautet: Wir
hätten–s ja gemacht, aber die anderen wollten nicht. Dumm nur, dass
auch andersrum ein Schuh daraus wird: Union und FDP halten der
Opposition ebenfalls vor, sich einer Einigung entgegen zu stellen.
Was noch schlimmer ist: Das Regierungslager ist sich intern auch
nicht einig. Während die CSU erstens die Finanzmarkt-Steuer fordert
und zweitens ESM und Fiskalpakt umgehend ratifizieren will, bremst
die FDP bei der Börsensteuer. Und in den Reihen der unionsgeführten
Bundesländer gibt es dieselben Vorbehalte gegen den Fiskalpakt, die
SPD und Grüne in der Länderkammer vorbringen: die Angst vor der
finanziellen Zwangsjacke. Die ist durchaus real, weil die
Notwendigkeit eines ausgeglichenen Haushalts vor allem eins bedeutet:
Sparen, und zwar in allen Bereichen. Wie gesagt: Aus parteitaktischen
Überlegungen ist das, was in Berlin derzeit geschieht, durchaus
nachvollziehbar. Nur: Die Märkte interessiert das alles nicht. Den
Wähler übrigens auch nicht. Der schaut sich das Geschachere in Berlin
an – und hat genügend Argumente, das nächste Mal eine Protestpartei
zu wählen – oder es gleich bleibenzulassen. Vor lauter
Rettungsschirmen, Sparprogrammen, Soforthilfen und neuen
Finanzspritzen haben die Menschen ohnehin den Anschluss und die
Übersicht verloren. Die Lust, das alles zu verstehen, auch.
Deutschland hat bislang Glück gehabt. Es hat von richtigen
Weichenstellungen und umsichtigem Handeln der Parteien profitiert,
die es in den vergangenen Jahren regiert haben – was die Zeit der
großen Koalition mit einschließt. Jetzt droht es, das alles zu
verspielen, weil das Prinzip des Basars Einzug gehalten hat in die
Politik: Es wird geschachert, was das Zeug hält, nur um des eigenen
Vorteils willen. Ja, es stimmt: In etwas über einem Jahr ist
Bundestagswahl. Der Wahlkampf läuft bereits. Doch in Zeiten, in denen
Märkte und Ratingagenturen in Sekundenbruchteilen über Gedeih und
Verderb von Staaten oder Währungen entscheiden, sind zwölf Monate des
Zauderns und Zankens gefährlich viel Zeit. Deutschland ist dabei,
sich lächerlich zu machen, weil seine Parteien, anstatt einmal an
einem Strang zu ziehen, das tun, was sie am besten können: Sie
kreisen um sich selbst.

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