Opposition ist Mist“, lautet ein mittlerweile
geflügeltes Wort des früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering.
Eingedenk dessen muss es für die SPD ein guter Start ins Jahr werden.
Denn in Hamburg kann sich der Kandidat der Sozialdemokraten, der
frühere Bundesarbeitsminister Olaf Scholz, gute Hoffnungen machen,
den „Mist“ hinter sich zu lassen und die Wahlen am 20. Februar
gewinnen. Auch in Rheinland-Pfalz dürfte den Genossen die
Oppositionsbank erspart bleiben. Allein, diese Erfolge täuschen über
einen wichtigen Punkt hinweg: Die SPD hat es immer noch nicht
geschafft, nach dem Wahldebakel von 2009 Tritt zu fassen. Daran
ändert auch die Klausur der Parteispitze nichts, die gestern zu Ende
gegangen ist. Die SPD bleibt dort, wo sie 2009 gestrandet ist: Auf
der Sandbank der selbst verschuldeten Undefinierbarkeit. Mit einem
Fortschrittspapier wollen sich die Sozialdemokraten im Wahljahr neu
aufstellen. Wer es liest, bekommt ein paar Ideen präsentiert, die für
Schlagzeilen taugen: Von einer Entlastung der Familien und Einkommen
im Bereich bis 3000 Euro brutto ist die Rede. Dafür soll der
Spitzensteuersatz auf bis zu 49 Prozent angehoben, das
Ehegattensplitting soll abgelöst werden. Auch soll die unter
Schwarz-Gelb eingeführte Hotelsteuer-Ermäßigung rückgängig gemacht
werden. Vieles, was im Programm zum Thema gesellschaftliche Teilhabe
und gerechterer Verteilung geschrieben steht, klingt im
sozialdemokratischen Sinne wünschenswert und durchaus vertretbar –
für viele andere dürfte es vor allem nach Umverteilung und
Mehrbelastung klingen. Trotzdem: Irgendwie bleibt das Gefühl, die SPD
verharre nach wie vor im Kreis der nächtlich streunenden Katzen. Und
die eint bekanntlich eine Tatsache: Sie sind alle grau. Wie die Union
es lange tat (und oft noch tut) , so müht sich auch die SPD noch
damit ab, die Folgen der großen Koalition hinter sich zu lassen. Die
in der Bilanz äußerst positive Regierung mit der Union hat beide
Seiten dorthin gerückt, wo CDU-Chefin Angela Merkel immer noch
hinstrebt: in die Mitte. Die CDU, so heißt es, leide unter einer
Sozialdemokratisierung. Die SPD, so die folgerichtige Beobachtung,
leidet unter einer Unionisierung. Die Grenzen sind verwischt, das
Profil hat gelitten. Nirgendwo lässt sich dies deutlicher erkennen
als daran, dass nicht die SPD Gewinner der Koalition aus Union und
FDP ist, sondern die Grünen. Der SPD fehlt das Projekt. Derzeit
versuchen die Genossen, den Sieg, den die Blockade der
Hartz-IV-Reform zweifelsfrei darstellt, für sich auszukosten. Der
Erfolg freilich wird ausbleiben. Weil die Sozialdemokraten die
Hartz-Gesetze eingeführt haben, können sie sie nicht komplett
umbauen, ohne sich selbst unglaubwürdig zu machen. Die möglichen
anderen Projekte, die auch im Fortschrittsprogramm benannt werden,
sind bereits abgeschlossen, etwa das Energiekonzept oder die
Gesundheitsreform. Bleiben also die Visionen für eine gerechtere
Gesellschaft, die zwar schön klingen, aber dennoch nicht gerade
profilschärfend sind. Die Genossen seien an dieser Stelle an ein
anderes Zitat aus SPD-Mund erinnert: „Wer Visionen hat, sollte zum
Arzt gehen“, hatte Helmut Schmidt einst gesagt. Nein, die SPD muss an
kleinen Beispielen zeigen, wofür sie steht. In der Sarrazin-Debatte
hatte sie die Chance dazu. Ihr Vorsitzender Sigmar Gabriel hat im
Interview mit dieser Zeitung das Konzept der Leitkultur, das aus dem
Grundgesetz hervorgehe, als Richtschnur für eine Integrationskultur
genannt. Aber wirklich scharfe – und wirklich falsche – Thesen hatte
nur Sarrazin selbst. Wenn die SPD eines lernen kann von dem
unsäglichen Provokateur, dann die Provokation selbst. Ein nett
gemeintes Fortschrittsprogramm mit wenigen harten Forderungen dürfte
sonst seinen Platz neben anderen gut gemeinten Zukunftskonzepten
finden: In einem dunklen und staubigen Regal des Willy-Brandt-Hauses.
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